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Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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versuchte ich, in der Dunkelheit wieder nach oben zu klettern und trockenen Boden unter die Füße zu bekommen. Aber die Betonoberfläche war glatt und ich fand keinen Halt.
    Ich rutschte die Böschung wieder hinunter und landete bis zu den Waden im Wasser. Ein Fäulnisgeruch stieg daraus empor, fast wie die Gase in einem Sumpf. Als ob verfaulende organische Abfälle und menschliche Exkremente sich einen Wettbewerb lieferten, wer schlimmer stank. Ich musste würgen und gegen den Brechreiz ankämpfen.
    Entweder ich verlor langsam den Verstand oder etwas hatte sich in den letzten fünf Sekunden verändert. Plötzlich sah ich nämlich ein Licht, das vorher nicht da gewesen war. Es war etwas weiter weg – in der Dunkelheit war es schwer, Entfernungen zu schätzen – und zuckte wie eine Flamme.
    Einen Augenblick lang zögerte ich, doch dann stapfte ich durch das kalte, übel riechende Wasser darauf zu. Das Wasser reichte mir jetzt bis zur Hüfte und der zähe Schlamm machte jeden Schritt zu einer Herausforderung. Das Plätschern meiner Schritte hallte als Echo wider. Es klang wie in einem geschlossenen Raum. Mir kam es vor, als hörte ich irgendwo in der Dunkelheit das Stöhnen eines Menschen.
    Das Wasser linderte den Schmerz in meiner verbrannten rechten Hand, also tauchte ich sie in die schmutzige, stinkende Brühe, als ich auf das Licht zuging.
    Je näher ich ihm kam, desto niedriger wurde der Wasserpegel – er reichte mir nur noch bis zu den Knien. Schließlich erklomm ich eine weitere Betonböschung und hatte wieder festen Boden unter den Füßen. An meinen Beinen klebte Schlamm und anderer, schlimmerer Dreck.
    Eine Fackel brannte in einer Halterung an der Wand. Im flackernden Schein sah ich eine neue Messingtafel.
    FÜNFTER KREIS: ZORN
    Und während wir das tote Moor befuhren,
Taucht einer vor uns auf, den Schlamm bedeckte,
und rief: Wer bist du, der du vor der Zeit kommst?
Ich sagte: »Kam ich, ist’s nicht, um zu bleiben.«
    Inferno, Achter Gesang
    »Wer ist da?«, rief mir ein Mann durch den Raum zu. In seiner Stimme schwangen Schmerz und Anspannung mit.
    Ich antwortete nicht, sondern nahm die Fackel aus der Halterung und ging damit in den kalten Sumpf zurück. Als das Wasser mir wieder bis zur Hüfte reichte, fror ich.
    Im Fackelschein glänzte das Wasser schwarz. Es sah aus wie ein Ölfilm.
    »Wer ist da?«, ertönte die Stimme aufs Neue.
    »Ich heiße Jack«, rief ich zurück. »Ich bin gekommen, um Sie zu retten.«
    Außerhalb des Lichtscheins konnte ich immer noch nichts sehen, also lief ich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
    Die Kälte ließ mich zittern. Nach etwa sechs Metern tauchte im flackernden Schein der Flamme eine kleine Insel im Sumpfauf. Ich blieb stehen und starrte darauf. Sie maß bestimmt nicht mehr als fünf Quadratmeter und bestand aus Betonblöcken, die nur ein paar Zentimeter aus dem Wasser herausragten.
    Zwei Menschen lagen dort reglos aufeinander.
    »Hallo?«, rief ich ihnen zu. »Können Sie mich hören?«
    »Sie sind tot«, sagte der Mann am anderen Ende des Raums.
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    »Wie sind sie gestorben?«
    »Er hat sie gegeneinander kämpfen lassen.«
    Im Fackellicht blitzte der nasse Stahl einer Klinge auf. Einer der Toten hielt sie noch in der Hand.
    Ich hielt die Fackel über die beiden und sah sie mir genauer an.
    Junge Männer mit Banden-Tätowierungen auf den Armen.
    Beide trugen Halsbänder mit Sprengsätzen. Damit hatte Luther sie in der Hand gehabt.
    Ich ging weiter. Nach einer Minute sah ich im Schein der Fackel einen Mann. Er war an eine Betonwand gekettet.
    »Jetzt sehe ich Sie!«, rief ich. »Ich bin gleich bei Ihnen.«
    Meine Beinmuskeln verkrampften sich vom anstrengenden Stapfen durch den Schlamm, aber ich gab nicht auf und schleppte mich die letzten zehn Meter bis zu einer Betonböschung. An ihr kletterte ich empor und befand mich wieder im Trockenen.
    Vor mir stand ein hochgewachsener, hagerer Mann ohne Hemd. In den Ketten, die ihn an die Wand fesselten, sah er aus wie eine Gestalt aus einer Geschichte von Edgar Allan Poe. Er war von Kopf bis Fuß mit Schlamm beschmiert, sodass man nur das Weiße seiner Augen sehen konnte. Seine Arme waren nach beiden Seiten gestreckt, die Füße dicht beieinander.
    Ich kniete mich auf den Boden und legte eine kurze Verschnaufpause ein.
    Gefühllosigkeit ergriff von meinen Händen und Füßen Besitz. Ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushalten konnte.
    »Sind Sie verletzt?«, fragte

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