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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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mit den Protestanten verbündet?
    Wir krochen in unsere Schlafsäcke. Unter manchen zeichneten sich wie jede Nacht unruhige Bewegungen ab, begleitet von unterdrücktem Schnaufen und erlöstem Gestöhne. Harald hatte mehrfach damit gedroht, die Wichsorgien als Verstöße gegen das sechste Gebot Schamhaftigkeit und Keuschheit zu verpetzen, aber Rudi Wiechers hatte gesagt, dass wir Harald nackt ausziehen und ins Brennnesselfeld am Waldrand werfen würden. Weil Rudi der Stärkste von uns war, hielt Harald dann lieber die Schnauze.
    Als die Wachen Alarm brüllten, war unsere Kote bereits eingestürzt und der Wimpel vorm Eingang als Trophäe erbeutet. Im Mondlicht ergaben sich noch einige fruchtlose Raufereien, aber der protestantische Feind entkam mit mehreren Wimpeln, drei Dosen Panzerplatten und einem Suppentopf. Morgen Nacht, hoch und heiliger Schwur, würde unser Gegenstoß erfolgen. Denn ein Gesetz der großen Fahrt lautete: Rache ist Blutwurst.
    Im Gefunzel von Taschenlampen bauten wir die Kote wieder auf. Kaum war Ruhe eingekehrt, fing Schleimer Harald zu jammern an.
    »Meine Brille«, winselte er, »die haben meine Brille kaputt gemacht.«
    »Sind deine Eltern nicht versichert?«, erkundigte sich Rudi.
    »Weiß ich doch nicht«, greinte Harald.
    »Du musst unbedingt ein Foto von der Brille machen«, sagte Rudi versiert. »Für die Versicherung.« Er musste es wissen, weil sein Vater Versicherungsvertreter bei der Allianz war. Hoffentlich Allianz versichert .
    »Schnauze«, raunzte jemand, »wir wollen schlafen.«
    »Ich habe keinen Fotoapparat«, flüsterte Harald.
    »Mensch! Schnauze jetzt!«
    »Ich hab einen«, sagte ich. »Was krieg ich dafür, wenn ich ein Foto mache?«
    Harald schwieg einen Moment. »Ich hab aber kein Geld«, sagte er dann.
    »Tarzanhefte?«
    »Haben meine Eltern verboten.«
    »Schallplatten?«
    Er schien nachzudenken. »Ich hab Freddy. Und Caterina Valente.«
    »Nö. Hast du Elvis?«
    »Den erlauben meine Eltern nicht. Aber ich hab Babysitter Boogie.«
    »Na gut. Meinetwegen.«
    »Schnauze! Oder Brennnesseln!«
    Am nächsten Morgen legte Harald seine kaputte Brille auf einen Findling. Ich hob die Kamera vors Auge.
    »Stopp!«, rief Rudi Wiechers. »Ihr müsst noch eine Zeitung von heute danebenlegen, damit man das Datum beweisen kann.«
    »Wir haben aber keine Zeitung«, sagte ich.
    »Schnurzpiepe«, meinte Rudi. »Ich bin ja Zeuge.«
    Klack.

    Nach den Sommerferien begann das neue Schuljahr. Hanna war jetzt in der 13. Klasse und paukte fleißig fürs Abitur. Ich wurde in die 10. Klasse versetzt, wenn auch nur mit Hängen und Würgen, in Mathe die obligatorische 5, in Latein eine 4 mit scharfer Schräglage zur 5. Auf dem Elternsprechtag hatte mein Klassenlehrer meinem Vater erklärt, man habe noch einmal ein Auge zugedrückt, aber wenn ich so weitermachte, würde ich im nächsten Jahr sitzen bleiben. Die Prognose sollte sich als zutreffend erweisen. Vorerst war ich jedoch gerettet und atmete auf. Es wäre fatal gewesen, ausgerechnet jetzt sitzen zu bleiben, weil es zur Schultradition gehörte, dass die 10. Klasse geschlossen zur Tanzstunde antrat. Und die Tanzstunde versprach, wonach ich mich am meisten sehnte: Mädchen.
    Ich lebte in einem von wüsten Stürmen durchschüttelten, schwülen Dauerfrühling, in dem alles tief bedeutsam, aber auch höchst zweideutig zu werden schien. Es mussten im Unterricht nur Worte wie Sack oder Spalte fallen, vom Jadebusen zu schweigen, und in der Klasse begann Gegrinse und verklemmtes Kichern. Mein Schulweg führte mich an zwei Orten vorbei, die als Augenweide und schwellende Quellen meine Phantasien wässerten und zugleich verhärten ließen, nämlich erstens das Alhambra, ein Kino, in das laut Oma »kein manierlicher Mensch geht«. Im Schaukasten hingen Plakate und Standfotos – Stand fotos – tief dekolletierter oder bikiniknapp bekleideter Damen, deren bewegter Anblick »Freigegeben ab 18 Jahren« und also unerreichbar war; sowie zweitens ein Zeitungskiosk, an dessen der Straße abgewandten Seite Magazine aushingen, auf deren Titelseiten üppige Busen und dralle Schenkel versprachen, was kaum zu denken war.
    Mein Klassenkamerad Willy, Sohn eines Staatsanwalts, verfügte freilich über einen Fundus, der Kiosk und Schaukasten weit in den Schatten stellte. In der umfangreichen Bibliothek seines Vaters war er, in zweiter Reihe hinter Gesetzeskommentaren verborgen, auf den Giftschrank gestoßen: eine Sammlung erotischer Literatur. Willy selbst delektierte

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