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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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in der Zeitung, dass so einer verhaftet worden ist«, sagte Oma, »so ein –, ihr wisst schon.«
    »Nein, weiß ich nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß, obwohl ich mir bei Omas Herumgedruckse denken konnte, dass es etwas Schweinisches sein musste.
    »Mit Unhold meint Mutti«, dolmetschte meine Mutter ihre Mutter, »jemanden, der sich – der sich –«
    »Ganz recht.« Oma nickte.
    »Der sich zeigt«, murmelte meine Mutter errötend.
    »Exhibitionisten«, sagte mein Vater, »hat es immer schon gegeben. Widerlich. Sogar damals im Lager hatten wir einen, der, nun ja –«
    »Ich habe in der Schule aber etwas ganz anderes gehört«, sagte Hanna, und ihre Stimme bekam dabei einen auftrumpfenden Ton. »Der Tabbert ist verhaftet worden, weil er ein ganz schlimmer Nazi gewesen ist.«
    »Um Gottes willen.« Oma verschluckte sich, hustete und wurde ganz blass.
    »Der soll nämlich Aufseher in einem KZ gewesen sein«, sagte Hanna sehr akzentuiert.
    »Aber das hätte man doch wissen müssen«, sagte meine Mutter.
    »Wusste man ja vielleicht auch, wenn man es wissen wollte«, sagte Hanna. »Die Israelis haben doch neulich auch diesen Eichmann geschnappt. In Argentinien. Und jetzt machen sie ihm den Prozess.«
    »Ja, die Juden, furchtbar, furchtbar«, sagte Oma.
    »Wenn Tabbert in dergleichen verstrickt gewesen sein sollte, hätte er sich doch bestimmt auch nach Südamerika abgesetzt oder nach China«, mutmaßte mein Vater.
    »Ganz recht.« Oma schien erleichtert. »Doch nicht in meinem Haus. Das ist völlig undenkbar. Der Mann war immer überaus korrekt, höflich, sauber und bescheiden. Hätte Buchhalter sein können, vielleicht sogar Beamter. Aber doch kein, kein, also nein! Nicht unter meinem Dach.«
    »Und so etwas lernt ihr in der Schule?«, fragte meine Mutter.
    »Unser neuer Geschichtslehrer hat im Unterricht auch vom Nationalsozialismus gesprochen, und –«
    »Unerhört«, sagte Oma. »Was sind denn das für Lehrer heutzutage?«
    »Seid doch mal still«, sagte meine Mutter versonnen und legte den Kopf mit Blick aufs Radio schief. »Vivaldi. Vier Jahreszeiten. Der Frühling. Ach ja, Italien.«
    Um das leidige Thema vom Sonntagstisch zu wischen, war diese Volte meiner Mutter zwar sehr gut gemeint, aber Oma runzelte dennoch vorwurfsvoll die Stirn, und meine Mutter biss sich schuldbewusst auf die Lippen. Das hing mit Onkel Eugen zusammen, der in Italien gefallen war. Und das würde Oma den Italienern natürlich nie verzeihen. Im Leben nicht.

    Nach dem Mittagessen wünschte mein Vater uns allen eine gute Verdauung, schluckte eine Leo-Pille (Wie Balsam für den Darm) , rauchte eine HB (Warum denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB . Dann geht alles wie von selbst ) und legte sich dann wohlig seufzend zu einem Nickerchen auf die Couch. Das tat er jeden Tag. Oma zog sich in ihre Wohnung zurück, um zu einem »guten Buch« zu greifen. Das war aber auch nur so eine ihrer Redensarten, weil sie zwar immer irgendein Buch – Werner Bergengruen, Gertrud von le Fort, Luise Rinser, Vicki Baum und dergleichen – dekorativ auf dem Tisch platziert hatte, aber eigentlich lieber Patiencen legte.
    Meine Mutter spülte das Geschirr, ich trocknete ab, und Hanna stellte das »gute« Geschirr, Vorsicht, Porzellan, wieder zurück in den Prahlhans, eine Vitrine, die noch aus dem Haushalt meiner Urgroßeltern stammte und angeblich frühes Biedermeier war. Bis zum nächsten Sonntag. Das »tägliche« Geschirr, kein Porzellan, stand im Küchenschrank stets zu Diensten.
    Vom Küchenfenster blickte ich aufs Flachdach des Schandflecks, das von Herbstlaub, abgefallenen Kastanien und halb verfaulten Birnen bedeckt war, an denen ein paar fette, schwerfällig hoppelnde Tauben ihr Wirtschaftswunder erlebten. Der Birnbaum stand auf der hinteren Grundstücksgrenze, die Kastanie vorne an der Straße. Da niemand mit Sicherheit wusste, nicht einmal Oma, zu welchem Grundstück die Bäume gehörten, gab es seit eh und je eine stillschweigende Übereinkunft, dass die nach Westen in unsere Richtung ragenden Äste uns gehörten und die auf der Ostseite zum Schandfleck.
    Ansonsten war der Grenzverlauf zwischen den beiden Grundstücken nicht markiert. Es gab weder Zaun noch Mauer. Zwischen den beiden Bäumen erstreckte sich lediglich ein heckenartiges Gestrüpp aus Stachelbeer- und Johannisbeerbüschen, auf unserer Seite penibel gepflegt und ordnungsgemäß beschnitten. Die Beeren, abgeerntet und zu Marmelade oder Kompott verarbeitet, erwarteten im Keller

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