Klack: Roman (German Edition)
der Berliner Mauer Häuser geräumt und vermauert worden seien, damit die Leute nicht mehr durch die Fenster in den Westen springen konnten, wobei ja schon einige Unglückliche ums Leben gekommen beziehungsweise erschossen worden seien, weshalb sich auch die amerikanischen und russischen Panzer am Checkpoint Charlie gegenübergestanden hätten und Chruschtschow auf einen separaten Friedensvertrag mit der Ostzone verzichtet –
»Was hat das denn mit Herrn Tabbert zu tun, Mutti?«, fragte meine Mutti ihre Mutti.
Oma ließ sich nicht gern unterbrechen, schon gar nicht von ihrer Tochter, schwieg eingeschnappt und pulte umständlich den Zahnstocher aus ihrer Roulade.
»Vielleicht war Herr Tabbert ja ein Ostspion«, sagte ich.
Mein Vater schmunzelte nachsichtig. »Na, na, wie kommst du denn da drauf?«
»Neulich ist doch dieser Spion verhaftet worden, der für die Kommunisten gearbeitet hat«, sagte ich.
Mein Vater nickte. »Heinz Dings, äh – Felfe, richtig. Gegenspionage und so weiter. Reich mir doch mal den Rosenkohl. Vom BND. Danke. Beziehungsweise vom KGB oder jedenfalls für den KGB. Aber so ein großes Ding traue ich dem Tabbert nicht zu. Der war viel zu unauffällig.«
»Spione müssen doch unauffällig sein«, sagte ich. »Damit man sie nicht erwischt.«
Mein Vater sah mich nachdenklich kauend an. »Tja, wer weiß da schon Genaues. Aber die Rouladen sind gut.«
Da gestern nichts in der Zeitung gestanden und auch Karl-Heinz Köpcke Herrn Tabbert nicht in der Tagesschau erwähnt hatte, tappten wir über den Grund seiner Verhaftung im Dunkeln. Oma, die inzwischen wieder ausgeschnappt war, hatte jedoch von Frau Dr. Niemeyer, der Zahnärztin aus ihrer Doppelkopfrunde, gehört, Tabbert sei ein, Oma schluckte Rosenkohl und dämpfte bedeutungsschwer die Stimme, Heiratsschwindler gewesen. Auf seinen Vertretertouren mit Kurzwaren habe er alleinstehende, einsame Frauen aufgesucht und mit seinem dezenten Charme bezirzt und eingewickelt. »Erst betört«, betören war eins von Omas Lieblingswörtern, »und dann ausgenommen. Wie Weihnachtsgänse.«
»Schöner fremder Mann, du bist lieb zu mir«, trällerte Hanna irgendwie süffisant und sah unsere Mutter an, weil Schöner fremder Mann derzeit einer ihrer Lieblingsschlager war.
»Ich fand den Tabbert aber gar nicht so charmant«, sagte meine Mutter.
»Witwen gibt es heutzutage viele«, befand Oma, »und auf jeden Pott passt ein Deckel.«
»Dann wäre er ja ein Pott mit mehreren Deckeln gewesen«, meinte mein Vater.
Hanna und ich kicherten.
»Also bitte«, sagte meine Mutter, »doch nicht vor den Kindern.«
Hanna lachte affektiert. »Kinder?«
»Hört doch mal zu«, sagte Oma und deutete aufs Radio. »Mozart. Immer wieder schön.«
Während Hanna und ich das Geschirr in die Küche trugen, schlug meine Mutter mit dem Schneebesen Sahne fürs Stachelbeerkompott. Hanna verteilte die Bleiglasschälchen auf dem Tisch, Mutter teilte mit dem großen Silberlöffel aus.
»Einfach köstlich«, sagte Oma, »es geht doch nichts über einen eigenen Garten.«
Ich rührte lustlos in meiner Portion herum.
»Man manscht nicht mit Essen«, sagte meine Mutter.
»Ich mag aber keine Stachelbeeren«, maulte ich.
Mein Vater strich sich mit der Serviette Schlagsahne aus den Mundwinkeln und sah mich streng an. Ich wusste, was er sagen würde, und er sagte es auch so zuverlässig wie die Wanduhr im Flur, die soeben ein Uhr schlug: »Was auf den Tisch kommt wird gegessen.«
»Ich mag aber keine –«
»Kinder, Kinder, ihr seid verwöhnt. Ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr’s habt.« Es klang eher resigniert als empört. »Wir hätten damals mit Schweinen aus Trögen gefressen, wenn man –«
»Also bitte«, sagte Oma.
»Wenn man uns überhaupt was gegeben hätte.« Mein Vater ließ sich nicht beirren. Nicht von seiner Schwiegermutter. »Der Russe überlebte mit einer Handvoll Sonnenblumenkerne. An sich schon imponierend. Wir sollten auch Sonnenblumenkerne einlagern. Und jetzt iss deine Stachelbeeren.«
Während ich mir zwei, drei Löffel, auf die ich mehr Sahne als Kompott platzierte, reinwürgte, kam Oma aufs Thema Tabbert zurück. Wahrscheinlich fürchtete sie, dass mein Vater wieder in einen seiner russischen Monologe verfallen könnte. Beim Friseur sei ihr zu Ohren gekommen, der Mann sei durchaus kein Heiratsschwindler gewesen, sondern ein – sie zögerte. »Ich weiß gar nicht, wie ich’s ausdrücken soll. Ein Unhold.«
»Ein was?«, fragte Hanna.
»Es stand sogar
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