Klack: Roman (German Edition)
schnieke rausgeputzt mit schwarzem Dralonrolli, dreiviertellanger, eng anliegender, am Saum geschlitzter schwarzer Caprihose, schwarzen Pumps und schwarzem Popelinemantel, eilte zur Tür.
»Bin schon da!«, tirilierte sie aufgekratzt, knallte die Tür hinter sich zu und war weg, bevor ich die Warnung an sie durchgeben konnte, Haus und Wohnung nicht zu verlassen.
Na schön. Würde sie eben klatschnass werden mit ihrem schwarzen Tino, dem existenzialistischen Pianisten. Oder vom Winde verweht. Ha! Nur die Wellen singen leise –
Jetzt war ich allein, und da ich vorhin Herrn Tinotti hatte weggehen sehen, musste auch Clarissa allein zu Hause sein. Enzo, der Steppke, zählte nicht. Aus Wintergarten- und Küchenfenster des Schandflecks fielen Lichtbahnen ins Unwetter. Sie lockten mich wie sehnsüchtig ausgestreckte Arme. Komm zu mir, sagten sie, ich bin einsam heute Nacht. Und wenn Herr Tinotti inzwischen zurückgekommen wäre, würde ich einfach um eine weitere Gitarrenlektion bitten. Was aber, wenn er erst in einem Moment zurückkäme, in dem Clarissa und ich uns bereits eng umschlungen auf zerwühlten Laken unseres Liebeslagers wälzten? Das nannte man dann ja wohl in flagranti. Was bedeutete das eigentlich?
Der Kleine Brockhaus, Clubausgabe, gebunden in rotes Kunstleder mit Goldprägung, informierte mich, in flagranti sei eine aus dem Latein übernommene Redensart, die im Lateinunterricht bislang aber noch nicht vorgekommen war, eigentlich: in flagrante delicto = »in den Flammen des Verbrechens«, und bedeute »auf frischer Tat«. Das war ja enttäuschend harmlos. Erwartet hatte ich eher etwas Schweinisches à la »beim Geschlechtsakt ertappt«. Die Lichtfinger lockten. Ich musste es riskieren, jetzt oder nie. Wie sagte Rudi Wiechers immer so herrlich versaut? »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt; wer nicht vögelt, kriegt kein Kind.«
Also zog ich meinen Anorak an und klemmte mir als In-flagranti-Alibi die Gitarre unter den Arm. Doch als ich gehen wollte, wurde unten die Haustür aufgeschlossen. Hanna und Lemartin, die erst vor 20 Minuten aufgebrochen waren, kamen zurück. Wieso denn das? War Die Meuterei auf der Bounty nur eine Finte, um sich heimlich ins Juchhe zu schleichen, um dort nicht in die Welt, sondern zu Play-Bach-Geklimper ins Bett geworfen zu sein als zur Immanenz verdammtes, anderes Geschlecht?
Es war viel profaner. Anders als in Minas Schmachtfetzen über heißen Sand sangen die Wellen in dieser Nacht gar nicht leise, sondern lauter und lauter. Und das Wasser stieg und stieg nicht nur an den Deichen, sondern wie im Wetterbericht vorhergesagt auch bei uns im Hinterland. Hanna und ihr französischer Beau, dem vom Sturm unterwegs auch der schwarze Regenschirm in Fetzen gerissen worden war, trotteten wie begossene Pudel in unsere Wohnung und zogen ihre triefenden Mäntel aus.
»Wir sind nicht mal bis ans Kanalufer gekommen«, japste Hanna schaudernd. »In der Brückenstraße steht das Wasser schon knöcheltief, und der Stadtwall sieht aus wie ein Fluss.«
»Als ob die Welt untergeht«, ergänzte Lemartin düster.
Du hast ja überhaupt keine Ahnung, du Schnösel, dachte ich, die Welt geht erst am 30. Mai unter.
»Ich koch uns jetzt erst mal einen heißen Tee«, sagte Hanna hausfraulich, schlüpfte aber nicht in den knitterarmen Dralonkittel.
Wir hockten uns um den Küchentisch und schlürften Onno-Behrens-Ostfriesengold. Lemartin zog ein Ledertäschchen mit Rauchutensilien aus dem Jackett und stopfte sich umständlich und penibel eine Pfeife. Hanna steckte sich eine Ernte 23 an, zögerte, zuckte mit der Schulter und hielt mir dann auch die Packung hin.
»Ausnahmsweise«, sagte sie gönnerhaft. »Aber nur weil Sturmflut ist.«
»Eine Katastrophe«, philosophierte Lemartin und stieß dabei blaue Schwaden aus. »Dergleichen wirft den Menschen zurück auf die nackte Existenz.«
Nackte Existenz, dachte ich. Das hättest du jetzt wohl gerne, was?
Hanna schaltete das Kofferradio ein. Jana, schöne Mexicana wurde bereits nach wenigen Takten unterbrochen. Katastrophenmeldung. Deiche brachen. Polder schwappten über. Flüsse, Bäche, Kanäle traten über die Ufer. Keller und Erdgeschosse liefen voll, mancherorts schon erste Stockwerke. Technisches Hilfswerk, Polizei, Feuerwehr waren im Dauereinsatz. In Hamburg rückte die Bundeswehr aus, vorerst aber nicht wegen des Dritten Weltkriegs, sondern um Leute zu retten, die auf Dächern saßen. Notruftelefonnummern wurden durchgegeben. Dann wieder Musik. Ein
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