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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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Heimleitung darüber reden. Sie wissen über alles Bescheid. Ich kann nicht mehr tun, als mich für die Kollegen entschuldigen, denen das passiert ist.«
    Sie atmete tief durch. »Jetzt lässt es sich ja eh nicht mehr ändern.«
    Erik kratzte sich nervös am Hals, und ihr fielen die Narben auf, die unter dem Kragen seiner weißen Pflegerkleidung hervorschauten. Sie waren gerippt wie Kiemen. Anais versuchte sich zu erinnern, wie schlimm es ihn damals erwischt hatte, aber ihr fiel nichts dazu ein.
    »Trotzdem danke«, sagte sie versöhnlicher, »dass du’s mir erzählt hast. Deine Chefin hat das ja offensichtlich nicht für nötig gehalten.«
    Er presste die Lippen aufeinander und nickte.
    »Und keine Sorge, ich sag denen nicht, dass ich’s von dir weiß.«
    Nun lächelte er wieder zaghaft, ein weißer Koloss mit Hornbrille und Kiemenschlitzen wie ein Wassermann.
    Sie verabschiedete sich von ihm und wandte sich mit Lily zum Ausgang. Das Prasseln des Regens klang, als würde eine Armee von Zinnsoldaten über das Glasdach des Foyers marschieren.
    »Anais?« Mit ein paar schnellen Schritten war er wieder bei ihr, erstaunlich flink für seinen enormen Körper. Er strotzte vor Kraft, und sie dachte, dass er sich gut auf einer geschlossenen Station machen würde. Der perfekte Pfleger für gemeingefährliche Irre.
    Sie blieb stehen und schlug ihre Kapuze hoch.
    »Wegen damals«, sagte er. »Ich bin nicht mehr so.«
    »Sind wir beide nicht.«
    »Ich hab im Fernsehen gesehen, was du so machst.«
    Er hatte sie nackt gesehen   – wollte er das damit sagen? Sie stellte sich zur Schau, rückte sich in den Mittelpunkt. Genau wie damals.
    »Die Bücher und so«, sagte er verlegen. »Ich hab keins gelesen, aber wenn ich mir eines kaufe oder zwei   … Ich meine, würdest du was reinschreiben? Unterschreiben und so?«
    Sie entspannte sich ein wenig. »Gern. Ich hab leider keine dabei, sonst   –«
    Er riss die Augen auf. »Nein, ich will sie bezahlen! Also kaufen , wirklich! Ich geh gleich morgen zum Laden, vielleicht haben sie welche da, und dann deponiere ich sie hier an der Rezeption. Falls du noch mal vorbeikommst   … Wäre toll, wirklich.«
    Sie schenkte ihm ein Lächeln, hob die Hand zum Abschied und lief mit Lily durch den Regen zum Auto.
    Als sie im Trockenen saßen, sagte Lily: »Komischer Kerl.«
    »Nichts gegen früher.«
    Sie fuhren zurück in den Ort. Es gab nur eine Straße, die dorthin führte, und das Hochwasser hatte sie fast erreicht.Es war dieselbe, auf der man nachts ihren Vater aufgegriffen hatte.
    Nach zweihundert Metern trat sie hart auf die Bremse.
    »Hey«, entfuhr es Lily erschrocken.
    Wasser trommelte auf die Windschutzscheibe. Anais beugte sich über das Steuer, so nah wie möglich ans Glas.
    Durch den Regen schimmerte das Gelb einer Telefonzelle.

10
    Es hörte auf zu regnen, während sie das Jakobustor passierten und wieder den Berg hinauffuhren. Diesmal bog Anais nicht in den Bergmühlweg zum Haus ihrer Eltern ab, sondern folgte der schmalen Straße zum Waldrand. Als sie die Bäume erreichten, fielen die letzten Tropfen. Kurz darauf stellte sie die Scheibenwischer aus.
    Die Straße machte im Wald eine Kurve und führte ein Stück am Bergkamm entlang, dann auf der anderen Seite in ein Tal. Es schien, als bliebe ein Großteil der Wolken zurück, obwohl Anais am Himmel kaum etwas sehen konnte, weil es fast dunkel war. Das Scheinwerferlicht schuf eine Röhre aus knorrigen Ästen und abgestorbenem Laub rund um die Fahrbahn.
    Wegen der Nässe fuhr Anais nicht schnell. Nur wenige Male kamen ihnen Wagen entgegen, alle mit aufgeblendeten Scheinwerfern, als sei die Dunkelheit weiter vorn noch undurchdringlicher. Sie gab ihnen ein Lichtsignal, aber keiner reagierte.
    »Man kann gegen Theodora sagen, was man will«   – und das war eine Menge, dachte sie   – »aber sie wusste, was sie tat. Auf ihrem Gebiet war sie eine Koryphäe. Sie war schon auf Schmerztherapien spezialisiert, bevor sie nach Klammroth kam, hatte an diversen Uni-Kliniken gearbeitet, zuletzt als Chefärztin. Vor sechzehn Jahren hat sie dann hier ihr eigenes Institut aufgebaut und sich auf die Behandlung von Brandopfern spezialisiert.«
    Lily schob sich einen Kaugummi in den Mund. »Das istein bisschen, als finge man als Schornsteinfeger im Krematorium an, oder?«
    Anais lachte. »Spezielle Schmerzkliniken gibt es noch nicht so lange. Erst seit den Sechzigerjahren. Soweit ich weiß, machen sie hier alles, was dazugehört, auch

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