Klammroth: Roman (German Edition)
Transplantationen und Psychotherapie und so weiter.«
Theodoras rechte Hand, Professor Robert Sternberg, hatte sie am Telefon gebeten, erst nach der letzten Visite vorbeizukommen, dann könne er sich alle Zeit der Welt für sie nehmen. Er wolle Theodoras Tochter nicht zwischen Tür und Angel mit ein paar freundlichen Worten abspeisen, darum sei ihm ein Besuch gegen Abend am liebsten.
»So jemand wie deine Stiefmutter«, sagte Lily, »bringt sich doch nicht einfach um.«
»Ist ja auch nur eine von mehreren Möglichkeiten.«
»Was für ein Unfall soll denn das bitte schön gewesen sein?« Lily sah sie von der Seite mit diesem fassungslosen Teenagerblick an, zugleich voller Vorwurf und Mitleid. Manchmal stellten sich Erwachsene zu dämlich an, statt einfach auf das Naheliegendste zu kommen. »Und falls jemand sie umgebracht hat, dann doch am ehesten ihr Partner, oder? Zu dem wir gerade fahren. Im Dunkeln , wenn außer ihm keiner mehr in der Klinik ist. Ich wette, er hat alle Schwestern nach Hause geschickt und wetzt gerade sein Skalpell.«
»Kind!«
»Mutter!«
»Ich muss mit Phil über die Filme reden, die er dich gucken lässt.«
»Ist doch wahr«, sagte Lily. »Weil sie sich nie haben scheiden lassen, erbt Opa Theodoras Anteil an der Klinik. Und er ist entmündigt. Das heißt, dass jetzt nur noch du zwischen dem irren Professor stehst und dem Weg zur –«
»Weltherrschaft?«
»Alleinherrschaft. Also, über die Klinik.«
»Wenn man vierzehn ist, klingt das bestimmt wahnsinnig einleuchtend.«
»Gott, du bist so alt !«
Im selben Augenblick verließen sie den Wald.
»Da vorn ist es«, sagte Anais.
Die ehemalige Fabrik für Fruchtsäfte hatte in den Siebzigern Konkurs angemeldet und lange leer gestanden, ehe Theodora sie mit einer Handvoll Geldgeber gekauft und zum Klinikum ausgebaut hatte. Damals war ihr der Gebäudekomplex inmitten ehemaliger Obstwiesen groß genug erschienen, aber schon vor Jahren hatte sie geklagt, dass ihnen der Platz ausginge. Aufgrund ihrer Erfolge hätten sie und Sternberg drei bis vier Mal so viele Patienten aufnehmen können – die Anfragen kamen aus ganz Deutschland und darüber hinaus –, doch so mussten sie die meisten abweisen.
Lily pfiff durch die Zähne. »Ganz schön nobel.«
Sie passierten zwei mächtige Steinsäulen, dahinter war die Straße durch Lampenreihen erleuchtet. Die einstigen Obstwiesen waren in eine gepflegte Parklandschaft verwandelt worden. Nach fünfhundert Metern passierten sie die Einfahrt zu einer Tiefgarage, doch Anais fuhr weiter bis auf den runden Vorplatz der Klinik. Die hohe Backsteinfassade wurde dezent angestrahlt.
Anais stellte den Wagen am Rand des Platzes ab und ging mit Lily zum Eingang. Die junge Frau hinter der Rezeption wusste bereits, dass Professor Sternberg sie erwartete, und sprach Anais ihr Beileid aus. Theodora sei äußerst beliebt bei den Angestellten des Instituts gewesen und ein großer Verlust für die Patienten. Es klang nicht mal einstudiert.
»Kann ich hier unten warten?«, fragte Lily.
Anais gab ihr einen Kuss auf die Wollmütze. »Klar.«
Lily ging zu einem Ledersessel hinüber, wippte in der weichen Polsterung auf und ab und nahm ein Magazin vom Stapel.
»Frau Schwarz!« Robert Sternberg trat aus der Glastür eines Treppenhauses. »Schön, dass Sie da sind. Auch wenn der Anlass so furchtbar ist.«
Anais ergriff zur Begrüßung seine Hand. Der Arzt kondolierte ihr und deutete zum Aufzug. »Am besten reden wir in meinem Büro. Und wenn Sie mögen, führe ich Sie durch das Institut. Sie waren lange nicht mehr hier. Seitdem hat sich einiges getan.«
Sternberg war um die fünfzig, mittelgroß und schlank. Er hatte dunkelgraues Haar und wasserblaue Augen. Er sah aus wie jemand, der gut Tennis und auf alle Fälle Golf spielte, im Sommer in die Toskana fuhr und zu Hause Kinder hatte, die von seiner Frau im Sportwagen zum Reiten gefahren wurden. In einem schwedischen Kriminalroman wäre er Theodoras Mörder gewesen und hätte eine sadomasochistische Affäre mit dem Mädchen an der Rezeption gehabt.
Anais folgte ihm durchs Foyer und in den Aufzug.
»Haben Sie schon was Neues von der Polizei gehört?«, erkundigte er sich. »Ich habe mit diesem Kommissar Herzog gesprochen, aber er war nicht besonders auskunftsfreudig.«
»Nein. Ich werde noch mit ihm reden müssen, fürchte ich.« Immerhin hatte sie von der Pension aus schon mit dem Abrissunternehmen telefoniert. Punkt eins auf der Liste ihrer lästigen
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