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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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Menschen zu machen. Er pflegt meinen Vater jetzt, hast du das gewusst?«
    »Nur dass er drüben im Heim arbeitet. Dein Vater hat ihm damals den Ausbildungsplatz besorgt und sich dafür eingesetzt, dass er übernommen wurde.« Er seufzte. »Das ist jetzt auch schon wieder, ich weiß nicht, zwölf, dreizehn Jahre her? Oder noch mehr?«
    »Ich versteh’s trotzdem nicht. Er hat Erik nie mit einem Wort erwähnt.« Nach einem weiteren Schluck sagte sie: »Wenn ich damals mit ihm telefoniert habe, hat er mehr von dir gesprochen als von irgendwem sonst.«
    »Von mir?«
    »Von deinen Fortschritten in der Klinik, all diesen Dingen. Er hat oft mit deiner Mutter geredet, glaube ich.« Sie leerte das Glas und stellte es mit einer Entschlossenheit ab, die vor allem sie selbst überzeugen sollte, dass sie genug getrunken hatte. »Ich hab früher oft daran gedacht, dich zu besuchen. Aber   –«
    »Es hat eben nie gepasst, hm?«
    »Ich hab mich geschämt. Dafür, dass es mir nach dem Unfall so viel besser ging als dir und vielen der anderen. Ich hab   …« Sie suchte nach Worten, brach dann aber ab.
    »Ich hätte dich wahrscheinlich gar nicht sehen wollen. Ich wollte nicht mal meine Mutter sehen. In den ersten Monaten hatte ich am meisten Angst davor, dass mir jemand die Wahrheit sagt.«
    »Über deine Narben?«
    »Nein«, sagte er leise, »über meine Schwester.« Er sah auf und blickte ihr wieder in die Augen. »Über das, was aus Nele geworden ist.«

14
    In Sebastians Taxi fuhren sie die schmale Straße durch die Weinberge hinauf, bis sie an die kleine Kreuzung kamen, an der rechts der Bergmühlweg abzweigte. Zur Linken führte ein Feldweg in einem Bogen oberhalb der Stadt durch die ehemaligen Wingerte wie ein Soßenrand in einer Schüssel, vorbei am Friedhof bis zum Waldrand im Westen.
    Das ehemalige Weinhotel der Teusners war das erste der drei Häuser am Bergmühlweg. Das zweite stand seit vielen Jahren leer, dort hatte der Winzer gelebt, dem dieser Teil des Hangs gehört hatte. Das dritte Haus schließlich, ein gutes Stück weiter östlich und von hier aus hinter der nächsten Biegung nicht zu sehen, war die Brandruine von Anais’ Elternhaus; sie war heute Nachmittag mit dem Abrissunternehmer und einem Mitarbeiter der Versicherung wieder dort gewesen.
    Es hatte den Tag über genieselt, erst zum Abend hin hatte der Regen aufgehört. Trotzdem glitzerte das Licht der Scheinwerfer auf dem nassen Asphalt, als wäre die Straße mit Glas überzogen.
    »Wie oft sind wir zusammen zu Fuß hier hochgegangen?«, fragte Sebastian in einem Anflug von Wehmut, den sie zu ihrer eigenen Überraschung teilte.
    »Tausend, zweitausend Mal?«
    Er bog nach rechts ab. »Mindestens.«
    »Das sind so viele Stunden. Ist komisch, wie so was einfach verblasst. Ich hab seit einer Ewigkeit nicht mehr daran gedacht.«
    »Ich schon.« Es klang wie ein Geständnis, und vielleichtwar ihm das unangenehm, denn er schränkte gleich ein: »Vor allem in den ersten Jahren. Als ich kaum gehen konnte, jedenfalls nicht gut genug, um es den Berg hinauf zu schaffen.«
    »Man sieht gar nichts mehr davon. Ich meine, du humpelst nicht, und eben bist du aus dem Schlauchboot gesprungen, als würdest du das ständig machen.«
    »Ich hatte nicht mal Verbrennungen an den Beinen. Jedenfalls keine nennenswerten. Das kam alles von der Wirbelsäule. Die Brandwunden waren die eine Sache, aber so lange in der Reha war ich vor allem wegen des Aufpralls.«
    Anais erinnerte sich, dass ihr Vater ihr damals erzählt hatte, es sei nicht sicher, ob Sebastian je wieder würde laufen können. Sie hatte so erschreckend wenig dabei gefühlt, als wäre Klammroth in einem anderen Leben, einem anderen Universum zurückgeblieben.
    »Zu guter Letzt hab ich einfach Glück gehabt.« Er parkte das Taxi vor der dunklen Hotelfassade. Die aufgemalten Weinreben rund um die Fenster sahen nach dem Regen wie glitschige, vielköpfige Schlangen aus. »Neles Glück hab ich dabei wahrscheinlich gleich mit aufgebraucht.«
    Er stellte den Motor ab, zögerte aber auszusteigen. Anais wandte sich ihm zu und berührte sachte seine Finger auf der Handbremse. »Hör mal«, sagte sie, »du kannst mich auch einfach zurück zur Pension bringen. Es ist spät und   –«
    Eine Spur von Schärfe lag plötzlich in seiner Stimme. »Du musst sie dir nicht ansehen, keiner verlangt das.«
    »Nein, das meine ich nicht. Aber willst du sie wirklich mit meinen Augen sehen? Weil das nämlich passieren wird, wenn ich mit zu ihr

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