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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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erfahren«, sagte Japón melodramatisch. Seine Hände zerteilten einen Vorhang aus Luft. »Doch was auch immer geschieht: Wagt es nicht, mich noch einmal zu unterbrechen. Und sollten auch die Schinken an der Decke auf uns herabstürzen und uns erschlagen! Lehnt euch zurück. Es wird eine Weile dauern.«
    Curro blickte sorgenvoll an die Decke und begutachtete die Schlaufen, an denen die Fleischstücke hingen.
    Dann winkte er dem Wirt nach einem neuen Glas Wein.
    »Zwei«, sagte Domingo.
    »Drei. Also«, begann Japón. »Es waren einmal zwölf Samurai im fernen Königreich Voxu.«
    »Was ist das und wo ist das?«, fragte Escarlati.
    »Auf der anderen Seite der Welt, also dort drüben« – Japón deutete mit dem Zeigefinger auf den Dielenboden unter sich – »liegen viele Länder und Meere, ganz wie bei uns, bekannte und unbekannte. Nicht nur Indien, Colóns Ziel, das er so grandios verpasste, sondern noch eine Menge mehr.«
    »Hafenkneipen, lose Weiber«, sagte Curro, »kennst du eine, kennst du alle. Ist es nicht so?«
    »Dazu fehlt mir die nötige Erfahrung«, sagte Japón trocken und fuhr fort: »Und eines dieser Länder, eine riesengroße Insel, beinahe so groß wie Spanien, nennt sich Japan oder Nihon, das Land der aufgehenden Sonne. Warum so genannt? Die Chinesen haben den Namen geprägt, weil von China aus jeden Morgen die Sonne im Osten, über der Insel Japan, aus dem Meer steigt.«
    »Das kann man am Cabo de Tarifa auch haben. Da war ich schon«, sagte Curro.
    Escarlati wischte diese halbwegs originelle Bemerkung beiseite, denn er war neugierig. »Also Japan. Deine Heimat«, sagte er.
    Japón nickte. »Ganz richtig. Doch der Reihe nach. Feuerrot, wunderbar anzusehen, steigt also jeden Morgen die Sonne aus dem Ozean. Und auf dieser Insel des anbrechenden Tages gibt es, hoch im Nordosten, ein Königreich, eines von vielen nur, das Voxu genannt wird. Von dort komme ich her.«
    Er machte eine letzte wirkungsvolle und stolze Pause vor der eigentlichen Geschichte. Curro nahm einen Schluck. Escarlati starrte auf den Boden und bemühte sich, besagte Insel von unten, als sähe er durch die Erdkugel hindurch, zu visualisieren, ein wenig gekrümmt, wie das Bruchstück einer Eierschale der Erdoberfläche aufgelegt.
    Japón erzählte. »Alles beginnt im Jahr 1611, also vor etwas mehr als hundert Jahren, mit einem gewissen General Sebastián Vizcaíno, der von Acapulco in Neuspanien, auch Mexiko genannt, nach Japan segelt. Er hat einen Plan und sucht Hilfe beim Shogun Tokugawa Ieyasu – Shogun, das ist so etwas Ähnliches wie ein König. Der Plan: Vizcaíno möchte die sagenhaften Inseln aus Gold und Silber finden, die im Osten in den Weiten des Stillen Ozeans verborgen sein sollen. Viele Seefahrer berichten davon, vom Hörensagen jedoch nur, denn niemand ist je dort gewesen.«
    »Ein Traum. Ein Märchen«, sagte Curro. »So wie die sieben Städte von Cibola.«
    »Oder der Brunnen der ewigen Jugend«, fügte Domingo hinzu, »den Ponce de León in den Urwäldern Americas suchte. Doch niemand hat ihn je gefunden. Weder den Brunnen noch die Städte.«
    »Was nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt.«
    »Hoffentlich! Wenigstens den Brunnen. Bitte! Schaut mich an: 44 Jahre – also höchste Zeit!«, rief Escarlati.
    »Was soll ich denn da sagen? Der erste Schluck gehörte wohl mir«, sagte Japón.
    »Was Schluck betrifft«, sagte Curro, der Jüngste unter den Dreien, und hob sein Glas.
    Japón nahm den Faden wieder auf: »Unser Shogun ist aber nicht interessiert, bezweifelt er doch die Existenz dieser Inseln. So fährt der neuspanische General allein hinaus, kreuzt einige Monate in der Wasserwüste hin und her, immer auf der Suche nach verräterischen Vögeln, treibenden Ästen oder Wolkenhüten, die vielleicht unbekanntes Festland ankündigen – doch vergeblich. Schlimmer noch, das Schiff gerät in einen Sturm, wird schwer beschädigt und kehrt nur mit Müh und Not in den japanischen Hafen zurück. ›Ich habe es doch gleich gesagt‹, soll der Shogun gelacht haben, zeigt dann aber doch Mitgefühl für die Havarie der mutigen Spanier. Manche behaupten allerdings auch, Viscáino habe dem Shogun versichert, besagte Inseln von Weitem erblickt zu haben, und erklärt, er wolle bei seiner Rückfahrt nach Neuspanien abermals versuchen, sie zu erreichen und an Land zu gehen, nachdem er, und nur er, nun wisse, wo jene sich ungefähr befänden. Wie dem auch sei: Shogun Tokugawa verweist den General an einen seiner Feudalherren, den

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