Klappohrkatze kommt nach Hause: Meine Abenteuer mit Norton (German Edition)
Wirklichkeit unsere eigene Sterblichkeit. Auch wenn manche Leute anderer Meinung sind, bin ich doch kein totaler Depp. Ich wusste – und weiß –, dass Norton eine Katze war, dass er kein Kind oder Familienangehöriger war. Aber dieses Wissen erleichtert einem nicht unbedingt die Traurigkeit, die man empfindet. Ich überlegte, woran es lag, dass ich meine Katze so sehr liebte, und was es war, das mich in solche Trauer versetzte. Als mein Vater starb, tat ich genau das, von dem es in dem Hopkins-Gedicht heißt, dass wir alle es tun. Ich wusste, dass ich um mich selbst trauerte – um das, was ich verloren hatte, was ich vermissen würde, wenn mein Vater nicht mehr da war, um die Wunde, die ich als Folge dieses Verlustes immer behalten würde. Bei Norton war es anders. Ja, natürlich trauerte ich um mich selbst. Ich würde dieses kleine Wesen vermissen, das sich im Lauf der Jahre irgendwie in mein Herz hineingemaunzt hatte und zu meinem allerbesten Freund und hochgeschätzten Gefährten geworden war. Norton liebte mich seit dem Tag, an dem wir uns trafen, und ich liebte ihn ebenfalls. Diese Liebe war echt und mächtig und wertvoll. In diesem Sinne trauerte ich also um das, was ich verlor. Wir haben – weder ich noch sonst jemand – keinen solchen Überfluss an Liebe in unserem Leben, dass wir lässig über ihr Verschwinden hinweggehen können, wenn sie denn tatsächlich verschwindet. Aber ich wusste, dass es mehr war als das.
Ich glaube, dass ich aufrichtig über den Tod meiner Katze trauerte.
Ich kann das nur damit erklären, dass Menschen Fehler haben. Selbst die besten Menschen. Und selbst die, die wir zutiefst lieben, rufen gemischte und komplexe Gefühle hervor, weil es neben dieser Liebe immer auch eine gewisse Menge an Schmerz oder Frustration oder Kompromiss gibt, weil es in Beziehungen zwischen Menschen immer noch irgendeine andere Komplexität gibt. Norton hatte keine Fehler. Er war tatsächlich vollkommen. Er konnte vollkommen sein , weil er ein simpleres Geschöpf war als die meisten Menschen. Er gab, ohne etwas dafür zu verlangen (abgesehen von Katzenleckerli und einem gelegentlichen Bauchkraulen). Er tröstete, ohne sich zu beklagen. Er schenkte Freundschaft und Mitgefühl, und während mir all das klar wurde, entschied ich, dass meine Trauer nicht nur berechtigt war, sondern auch wichtig, weil Nortons Tod nicht nur für mich ein Verlust war, sondern ein Verlust für jeden. Diese Art von Vollkommenheit ist nicht so häufig, dass wir uns ihren Verlust leisten können, ohne zu trauern.
Während ich fuhr und mich diesen morbiden Gedanken hingab, saß Norton auf seinem angewärmten Sitz, allerdings betätigte ich dieses Mal für ihn den Schalter, weil er nicht mehr die Kraft hatte, es selbst zu erledigen. Ich sprach auf dem ganzen Rückweg nach New York mit ihm. Sagte ihm, wie wunderbar er sei, erzählte ihm, wie sehr er mir fehlen würde. Er miaute missmutig – nicht vor Schmerzen, sondern aus einer Art Ärger und Gereiztheit. Es war, als wolle er sagen: »Warum kann ich nicht hochspringen und auf deiner Schulter sitzen wie früher?« Ich sah, wie frustriert er war. Er begriff nicht, was mit ihm geschah. Oder warum er nicht mehr springen oder laufen oder pinkeln konnte wie früher. Außerdem schämte er sich, glaube ich, seines körperlichen Zustandes und darüber, dass ich ihn so sehen musste. Ich hatte beim Fahren fast die ganze Zeit eine Hand auf ihm liegen. Und ich sagte ihm, er solle nicht wütend oder beschämt sein. Und dass er so vollkommen war, wie ein Geschöpf nur sein konnte.
Ich sah, wie wirklich schwach er nun war. Ab und zu stemmte er sich hoch, um aus dem Fenster zu gucken – immer eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Aber meistens lag er still. Manchmal, wenn er miaute, wusste ich, dass er Durst hatte. Aber er hatte nicht die Energie, bis zu seinem Wassernapf zu kommen. Ich hatte eine Wasserflasche neben mir stehen, und ab und an machte ich meine Finger nass und ließ ihn das Wasser ablecken. Darüber musste ich grinsen, denn ich hatte immer das Gefühl seiner rauen Zunge geliebt. Katzen lächeln nicht, deshalb konnte ich nicht sicher sein, aber ich war einigermaßen überzeugt, dass er es auch genoss – das Wasser und die vertraute Berührung und den Geschmack meiner Haut.
Als wir ungefähr den halben Weg in die Stadt geschafft hatten, war ich nur noch die trauernde Hülle eines Menschen. Wir kamen unterwegs tatsächlich an zwei Trauerzügen vorbei. Ich mache keine Witze.
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