Klar sehen und doch hoffen
Begegnungen«. Es war uns wichtig, die »Orientierung auf die materiell armgemachten Völker statt auf den reichen Westen zu richten, eine Kultur des Teilens einzuüben, das Konzept ›Abrüstung für Entwicklung‹ konkret zu unterstützen und auf eine gerechte Weltwirtschaftsordnung hinzuwirken«. Wir forderten, einen »grundlegenden Bewusstseinswandel durch eine offenlegende gesamtgesellschaftliche Diskussion über die vitalen Herausforderungen der Zukunft zu beginnen«. Unsere gesellschaftlichen Zielsetzungen wollten wir überprüfen und ein »neues Denken« entwickeln, das die Suche nach lebensverträglichen Werten und Verhaltensweisen erleichterte. Programme gegen die Energieverschwendung in der DDR-Wirtschaft hielten wir ebenso für notwendig wie solche zur Unterstützung der alternativen Energiegewinnung. Wir forderten Preisanpassungen für Energie, Wohnungen und Grundnahrungsmittel,weil mit ihnen achtlos und verschwenderisch umgegangen wurde. In der vorletzten These hieß es schließlich: »Weil wir die Erde unseren Kindern und Enkeln lebenswert zu hinterlassen haben, halten wir es für dringlich, dass gerade in einem sozialistischen Land der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie keinen Verlierer mehr hat.« Der Schlusssatz: »Wir wollen Gewohnheiten und Strukturen in Frage stellen und zur Umkehr ermutigen«, mündete in die Frage, ob auch wir, die Verfasser, bereit seien, die Schwierigkeiten auf dem vorgeschlagenen Weg der Umkehr zu tragen.
Die Thesen lösten erst größeren Wirbel aus, nachdem die »Frankfurter Rundschau« sie gedruckt hatte, fast vier Wochen nach dem Kirchentag. Weil ich sie zuerst in der DDR veröffentlicht sehen wollte – wenigstens in der Kirchenzeitung –, hatte ich Karl-Heinz Baum um diese Wartezeit gebeten. Zunächst geschah nichts. Nachdem im ND eine polemische Reaktion des SED-Chefs von Halle Hans-Joachim Böhme erschienen war, wurden wir Wittenberger Kirchenleute Mitte Dezember 1988 ins Rathaus der Stadt einbestellt. Die Atmosphäre war frostig. Eine Diskussion fand nicht statt. Ich saß mit am Tisch, und man sprach über mich in der 3. Person.
Böhme hatte die üblichen Anwürfe gegen uns »verantwortungslose ›Erneuerungsapostel‹« im gewohnten Jargon vorgetragen: »Die DDR-Bürger lassen sich durch nichts und niemanden zum Kapitalismus ›zurückreformieren‹. Wer uns vorschlägt, an Stelle sozialer Leistungen sozialen Druck zu setzen und die Preise für Grundnahrungsmittel, Tarife und Mieten zu erhöhen, dem kann es doch nicht um mehr Sozialismus, sondern nur um seine Destabilisierung gehen … wir werden auch künftig denen keine Zugeständnisse machen, die uns dazu drängen möchten, hauptsächlich über Fehler, Mängel und Rückschläge zu sprechen.« Am 2. Januar 1989 formulierteich einen offenen Brief, den ich auf zwei Seiten reduzierte und an Böhme schickte. Ich hatte immer noch die Vorstellung, irgendwie Gehör zu finden. Es war der letzte Versuch, einen Dialog zu beginnen. Vier Herren beschieden mir ein Vierteljahr später im Rat des Kreises, die von mir angesprochenen Fragen könne der Genosse Böhme mit dem Bischof oder mit dem Kirchenpräsidenten besprechen. Nicht mit mir.
2012 stelle ich fest, dass die Grundanliegen unserer Thesen nicht erledigt sind. Die grundlegende Umkehr hat nicht stattgefunden, wir fahren den Globus »auf Verschleiß«.
Ich bin Teil und Akteur, Gegner und Nutznießer einer Welt der Bequemlichkeiten des Wohlstandes. Ich möchte »nicht zurück« – und sehe doch, dass unser Zivilisationsweg in eine globale Sackgasse führt.
EINE HOFFNUNG LERNT GEHEN – DIE ÖKUMENISCHE VERSAMMLUNG FÜR GERECHTIGKEIT, FRIEDEN UND BEWAHRUNG DER SCHÖPFUNG
Was 2012 wie ein Damoklesschwert über der Menschheit hängt:
Gravierender Hunger von zwei Dritteln der Weltbevölkerung, dramatisches Erdbevölkerungswachstum, vorenthaltene Menschenrechte, Terror, Kriege und Bürgerkriege bei florierender Aufrüstung, Gefährdung unserer Lebensgrundlagen durch Ressourcenverschleiß, Klimawandel, Artensterben, Überdüngung und Überfischung, Abholzung von Urwäldern und Verkarstung von Ackerland.
Am 30. April 1989 schrieben wir, die Akteure der Ökumenischen Versammlung in Dresden, einen »Brief an die Kinder«.Formuliert hatte ihn die Delegierte Margot Friedrich aus Eisenach. Er fand große Zustimmung; was darin stand, ist nicht verjährt:
»Wir haben nachgedacht und gebetet und wieder nachgedacht, was zu tun ist mit einer Welt, die wir euch ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher