Klar sehen und doch hoffen
kaputt übergeben müssen. Dann haben wir die Ergebnisse aufgeschrieben. Hier sind die wichtigsten:
Wir alle müssen aufpassen, dass es noch lange Zeit Bäume gibt, die in einen blauen Himmel wachsen können. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass niemand mehr einen anderen Menschen in einem Krieg erschießt. Wir müssen teilen lernen, damit niemand mehr verhungert. Wir alle müssen uns darum bemühen, dass jeder kleine und jeder große Mensch sicher und geschützt in einer heilen Natur leben kann. Wenn wir müde geworden sind, sollt ihr an unsere Stelle treten … Glaubt nicht, dass wir alles wissen, aber glaubt, dass wir alles tun wollen.«
Das war Resümee eines langen Nachdenk- und Erkenntnisprozesses gewesen. Wie war es dazu gekommen?
Die Schlussakte der Helsinki-Konferenz vom August 1975 hatte große Hoffnungen auf Entspannung und Abrüstung, auf Freiheit und Menschenrechte geweckt. Doch die Hochrüstung hatte mit der Installation der Mittelstreckenraketen in Ost und West wieder begonnen. Dagegen regte sich westöstlicher Widerstand. Uns war klar geworden, dass das atomare Schlachtfeld Deutschland sein würde. Nichts mehr wäre von uns übrig geblieben. Zu geringe Vorwarnzeiten hätten ein irrtümliches Inferno auslösen können. Aus elementarer Sorge heraus hatte sich eine Friedensbewegung gebildet, jeweils als Handlanger der Gegenseite beschimpft, bedroht, lächerlich gemacht, unterwandert und »zersetzt«. Zugleich und nicht zuletzt wegen forcierter Rüstung, die ungeheure Ressourcen verschlang, wurde der Welthunger immer dramatischer.Die Verschmutzung der Luft, der Flüsse, der Meere, mit einer immer länger werdenden »roten Liste« der von der Erde verschwindenden Pflanzen und Tiere, führte weltweit zu Basisbewegungen für Frieden, für Weltgerechtigkeit und für Schöpfungsbewahrung.
Der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver lag 1983 ein Antrag vor, ein ökumenisches Konzil des Friedens einzuberufen, angeregt von Delegierten aus der DDR, vorgetragen vom Propst Heino Falcke, aufgegriffen und mit der Autorität des Philosophen und Atomphysikers Carl Friedrich von Weizsäcker versehen.
Der Druck dafür kam aus diversen sogenannten Basisgruppen, die sich in kirchlichen Räumen versammelten, aber nicht nur Christen anzogen. Die Kirche wurde ein Ort für die Offenlegung tabuisierter gesellschaftlicher Probleme. In den Synoden der Evangelischen Kirchen, in Studentengemeinden und Jugendkreisen wurde intensiv darüber gesprochen, dass SS-20 und Pershing II gleich gefährlich waren, wie gegenseitige Feindbilder destruktiv wirkten und auf beiden Seiten hehre Werte den Rüstungs-Wahn-Sinn verdecken sollten. Die sich bildenden freien Gruppen versuchten, ihre lähmenden Ohnmachtsgefühle zu überwinden. Die evangelischen Kirchen wurden als »Briefträger« zwischen Volk und Regierung in Anspruch genommen. Wir richteten Eingaben an zentrale staatliche Stellen, wir stellten Anträge an die Synoden, die wiederum die Kirchenleitungen baten oder aufforderten, in Gesprächen mit staatlichen Stellen auf die Anliegen der Bürger hinzuweisen. Die DDR war ein Bittstellerstaat, wo jeglicher Bürger-Protest und jede organisierte Opposition kriminalisiert wurden.
Da es vor allem durch die Ablehnung der Römischen Kirche nicht möglich geworden war, ein allgemeines Konzil der Kirchen auszurufen, wie dies schon 1934 Dietrich Bonhoefferim Blick hatte, kam es zu jenem Konziliaren Prozess. Insgesamt drei Sessionen fanden in der DDR statt: im Februar 1988 in Dresden, im Oktober 1988 in Magdeburg und im April 1989 wieder in Dresden.
Die Delegierten waren in einem demokratischen Auswahl-Verfahren bestimmt worden. Die Landeskirchen und Synoden hatten ihre Delegierten benannt, ebenso Friedens-, Umweltund Dritte-Welt-Gruppen. Zudem wurde ein Beraterkreis aus Experten berufen, der aber nicht abstimmungsberechtigt war.
Dies sollte die erste (und die letzte!) basisdemokratische Groß-Aktion werden, in der wir uns allen Herausforderungen zu stellen versuchten, in einem lokalen, nationalen und globalen Kontext.
Ich war als Fachberater hinzugezogen worden und arbeitete in der Arbeitsgruppe mit, die die sogenannte Grundsatzerklärung erarbeitete. Die erste Versammlung in Dresden begann mit einem Paukenschlag. Acht »Zeugnisse der Betroffenheit« wurden vorgetragen, in denen Dinge ausgesprochen wurden, die bis dahin öffentlich für unaussprechbar gehalten worden waren, ob nun zur Fremdenfeindlichkeit in der
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