Klar sehen und doch hoffen
bezeichnete, da ich ihr durch mein öffentliches Auftreten »ein zu intellektuelles Image« gebe und das sei abweisend und geradezu schädlich für die Stadt-Vermarktung. Er nahm sein Geld und ging.
Seit 1996 hatte die Stadt das Sommertheaterprojekt »Luther rufen« initiiert unter so phantasievoller wie kundiger und anspruchsvoller Regie von Peter Ries. Er zog neben vielen anderen auch mich zu Rate – insbesondere, was die aktuelle Relevanz Luthers betraf. Im Begleitheft zur ersten Aufführung, für die ich auch die Bergpredigt »eingelesen« hatte, schrieb ich:
»›Ein Baum, davon man Schatten hat, davor soll man sich verneigen.‹ Unter Bäumen, im Schatten seines Wohnhauses und Wirkungsortes vollzieht sich das SPIEL EINES LEBENS – zwischen Spruch und Wider-Spruch, Widersprüchen und Einsprüchen. Der Macht des Wortes trauend gegen die Worte der Macht, immer wieder. Gewaltig, weil gewaltlos, wurde 1989 etwas ins Recht gesetzt, was das Unrecht der Gewaltigen in Luthers Namen so oft gerechtfertigt hatte. Aufbruch und Umbruch kamen aus Frei-Mut. Luther hatte ihn vorgelebt, wie Martin Luther King später in letzter Konsequenz.Am Bronze-Denkmal haben wir ihn 1983 und 1989 ›befragt‹ und fanden Antwort. ›Der Obrigkeit darf man keinen Widerstand leisten mit Gewalt, sondern lediglich mit der Kundgabe der Wahrheit. Dazu gehört ein großer und starker Glaube, dass einer so frei in der Rede ist, dass er nicht fürchtet, der Leib und der Brotkorb könnten Schaden leiden.‹
Einen ›fröhlichen und unerschrockenen Geist‹ habe ihm Gott gegeben, um SEIN Wort vor jedermann zu verantworten, niemanden angesehen … Solchen Geist gilt es wachzurufen, bei uns. Ein Spiel nur und mehr als ein Spiel: Vergegenwärtigung! Damaliges Ringen und damalige Kämpfe verstehen, heutige Herausforderungen annehmen! Ein Anruf an alle Spielverweigerer und Spielverderber.
Die Dramatik wird nicht auf Spektakel und Spektakuläres reduziert. Das große Fass der Geschichte wird nicht auf die kleinen Fläschchen mit possierlichen Geschichtchen abgefüllt. Der Konflikt zwischen Gott und Teufel, Bibel und Papst, Gewissen und Gehorsam, altem Adam und neuer Kreatur wird annehmbar, wenn der Hohnlacher nicht zum Verstummen gebracht wird. Der innerste Kampf mit äußersten Konsequenzen vollzieht sich in diesem Bergmannssohn, so deftig wie zart, so polemisch wie poetisch, so glaubensstark wie verzweiflungstief, so sinnenfroh wie himmelssüchtig, so humorig wie bockig, so depressiv wie euphorisch, so liebenswürdig wie poltrig, so wutschleudernd wie friedfertig. Ein fröhlicher Sünder, kein finsterer Held! In allem geht es Luther um die Bibel. Und der Bibel geht es um uns. So ist er nur ein Medium dafür, dass Menschen zu dem Glauben kommen, der in der Liebe tätig wird – bis wir die Freiheit finden, die uns in die je eigene Verantwortung führt. Zuschauer und Zuhörer sitzen mittendrin, nicht in historischer Kulisse, sondern an geschichtlichem Ort. Im Lutherhof wird Theater gespielt – als wäre es ein Stück von dir.«
Eröffnung der Luther-Dekade, 2008: Luther wird übergesetzt
Ich war und bin für Inszenierungen, für Verfremdungen, für ein Denken, das sich im Spielerischen verwirklicht. Es gelang, die Sommertheater als achtbaren Versuch zu etablieren, Luther zum Thema von Theater heute zu machen.
Zur Eröffnung der Reformationsdekade am 20. September 2008 hatten wir ebenfalls ein Spiel vorbereitet. Wie im Drehbuch vorgesehen, ließ sich Luther vom Rektor der neugegründeten Universität Leucorea, Martin Pollich, von jenseitsder Elbe abholen und sagte dem versammelten Volk von Wittenberg, was er nun in der Stadt vorhabe.
Ich habe in der Rolle des Rektors versucht, all das einzubeziehen, was dieser Mann, der da ankommt, tun und wie sich die Welt dadurch verändern würde. Nur durch’s Wort. An einer Elbebuhne, zusammen mit dem jungen Luther in einem Ruderboot ankommend, rief ich dem Volk von heute zu:
»Ich begrüße Sie alle in dem Teil Deutschlands, den Bösartige ›Dunkeldeutschland‹ nennen. Viel südliche Sonne ist hier nicht, auch kein attisches Licht. Aber denken lässt sich besser in dürftiger Zeit und äußerer Entbehrung. Wir wollen an neue Ufer kommen. Wir wollen uns nicht treiben lassen. Wir wollen gegen den Strom schwimmen und uns vom Strom tragen lassen. Ich wollte Sie höchstpersönlich übersetzen. Und ich bitte Sie, uns mit Ihrer Sachkunde, mit Ihrem frischen Geist zu helfen, zu übersetzen: eine alte Wahrheit in
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