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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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und des Älteren sah, schüttelte empört den Kopf.
    Wenn es mal anders kommt … Es kam anders. Der erste Akt zur bürgerlichen Inbesitznahme unserer Stadt war der Aufruf »Rettet die Cranach-Höfe«, vorgelegt den Besuchern des »Gebetes um Erneuerung« am Dienstag, dem 7. November 1989.
    In einer Eingabe an den XI. Parteitag der SED 1986 hatte ich mit elf Wittenbergern den Erhalt der vom Krieg verschonten Altbausubstanz gefordert. Ein »Ruinen schaffen ohne Waffen!« hatte ich auf der Synode in Görlitz 1987 öffentlich beklagt. Auf meine Schreiben antworteten, wie üblich, behördliches Schweigen und staatliche Ignoranz. Auf meine Eingabe »betr. Erhaltung der Altbausubstanz in Städten der DDR« vom 2. Juli 1989 hin – gerichtet an den Volkskammerpräsidenten Horst Sindermann und den Ministerpräsidenten WilliStoph – geschah im August 1989 gänzlich Unerwartetes. Es kam ein Hauptabteilungsleiter des Bauministeriums, Professor Dr. Hans Krause, nach Wittenberg, um mit mir zu reden. Ich hatte auf die kaum noch benennbaren Schäden an der Bausubstanz unserer Städte hingewiesen und grundsätzliche Änderungen gefordert »von den Eigentumsformen bis zu den Mietpreisen, von dezentralisierten Baufirmen bis zur drastischenErweiterung der Gerüstkapazitäten«. Nun war eigens ein kompetenter Abgesandter aus Berlin gekommen. War das ein generelles Umschwenken, ein taktisches Kalkül? Jedenfalls konnte ich mit diesem Experten ein sachliches Gespräch führen, wie ich es mit einem Offiziellen der DDR – als Reaktion auf eine Eingabe – noch nie erlebt hatte. In meiner Stasiakte las ich später, dass Sindermann persönlich den Hauptabteilungsleiter im Bauministerium zum 24. August 1989 nach Wittenberg beordert hatte – und nicht der zuständige Ministerpräsident Stoph.
    Cranachhof Markt 4, 1988
    Wollte man im August 1989 endlich einen anderen Umgang mit den Bürgern einleiten? Quasi in letzter Sekunde? Nicht der ehrliche, offene Blick in die Augen sandte ein staatliches Signal, nein, es regierte weiter das Dossier, der Stasibericht. Nach wie vor bohrt die Empörung, wie unverzüglich, wie abstempelnd, wie heimtückisch das eigene Leben ins überwachende Berichtswesen gepresst und dort im Interesse des Regimes vernutzt wurde.
    Nun aber, im Herbst 1989, war es so weit. Die Demokratie, das fremde Wesen, wurde gleichsam ein-gebürgert; es bürgerte sich bei uns ein, dass Engagement möglich und nötig war. Wir sammelten seit Oktober 1989 in beiden Kirchen für den Aufbau der Cranach-Höfe über 10 000 Mark ein.
    Eine Gruppe Engagierter legte gleich selbst Hand an. Einige von ihnen arbeiten noch heute in dem deutschlandweiten Verein Cranach-Höfe e. V. mit. Die Gebäude sind in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten – trotz einiger Widerstände – aufwendig mit Mitteln des Bundes, des Landes und der Stadt wiederhergestellt worden. Ohne einen langen Atem wären wir nicht so weit gekommen. Der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Professor Ernst-Rüdiger Kiesow, unterstützte das Vorhaben bis zu seinem Lebensende. Und unter der Leitung von Eva Löber zeigendie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis heute ein unglaubliches Engagement.
    Inzwischen konnte fast die ganze Innenstadt saniert werden. Wittenberg ist kaum wiederzuerkennen. Manches ist traumhaft schön geworden, auch wenn die vielen Läden, die selbst in der touristisch frequentierten Innenstadt leer stehen, nicht zu übersehen sind. Die große »Russenschule«, ein prächtiger, aufwendig restaurierter Gründerzeit-Klinkerbau, leuchtet heute von weitem. Es ist unser neues Rathaus. Aber es wird noch viele Jahre dauern, bis das gesamte Areal aus Polizei- und Russenkaserne entbetoniert, saniert und wirtschaftlich zu nutzen ist.
EINE NEUE POLITISCHE KULTUR UND NEUE UNTIEFEN
    Aus dem »Gesprächskreis für Junge Erwachsene« und seinem Umfeld bildete sich Ende September 1989 in Wittenberg eine politisch aktive Gruppe des »Demokratischen Aufbruchs«. Neue Gesichter tauchten auf. Das Spektrum der Positionen war groß, bis hin zu vehement vorgetragenen rechtskonservativen Ansichten. Am 1. Oktober verhinderte die Polizei in Berlin noch die Gründung des »Demokratischen Aufbruchs« als politischer Verein. Am 30. Oktober 1989 aber konnten wir auf dem Gelände einer diakonischen Einrichtung – dem Königin-Luise-Stift Berlin – den formellen Akt vollziehen. Die Ereignisse überstürzten sich. Der Übergang in eine demokratische Gesellschaft gestaltete

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