Klar sehen und doch hoffen
sie in Gestalt von Naziterror gegen arbeitende Menschen und ihre Interessenvertreter angewandt wurden, nicht auf ein Land oder eine geographische Zone beschränkt. Sie sind dem Wesen nach den Methoden gleich, mit denen die faschistischen Putschisten in Chile vorgehen, mit denen die Konterrevolution vor fünfundzwanzig Jahren den Sozialismus in Ungarn zu erdrosseln suchte.« Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass es nicht um die Beziehung zwischen Deutschen und Polen gehe, sondern »um die Konfrontation von Revolution und Konterrevolution in Polen selbst«. Die Botschaft verstand ich wohl. Sie war auch an unsereins gerichtet. Dennoch hielt ich es für dringend geboten, an die für mich erreichbare Öffentlichkeit zu gehen und so an die christlichenGemeinden zu appellieren, antipolnischen Stimmungen im Volk und der Stimmungsmache in den Zeitungen entgegenzuwirken. Ich stellte zur Synode in Halle Anfang November 1981 einen Antrag, der meiner Sorge um »die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Menschen in der DDR und der Volksrepublik Polen« Ausdruck gab. Darin kritisierte ich erneut die »Art der Berichterstattung über die gesellschaftlichen Konflikte in unserem Nachbarland«, die dazu beigetragen habe, »dass in unserem Land Stimmungen aufgekommen sind, die die Gräben zwischen unseren Völkern wieder aufreißen können«. Ich schloss mit der Bitte an die Gemeindeglieder, »aktiv den überkommenen und neu aufkommenden Abwertungen zu begegnen, sich nicht vorgefertigten Feindbildern anzupassen, sich um sachgerechte Information zu bemühen und gerade in schwieriger Zeit die Kontakte zu den Menschen in der Volksrepublik Polen zu pflegen«. Darüber hinaus sollte die Kirchenleitung in Gesprächen mit staatlichen Stellen auf »die möglichen tiefreichenden Folgen der Informationspolitik über die Konflikte in der Volksrepublik Polen« hinweisen.
Die Synode sandte einen entsprechenden Brief an die Gemeinden, der »Evangelische Pressedienst« in der Bundesrepublik brachte das an die größere Öffentlichkeit, woraufhin die DDR-Staatsorgane reagierten. Bischof Werner Krusche, der sich bis dahin nicht zu Polen geäußert hatte, erhielt einen empörten und von Unterstellungen wimmelnden Brief von Professor Dr. Wilhelm Girnus. 50 Das Schreiben war ganz im üblichen Funktionärston gehalten: dem der Beschimpfung. Der Bischof stoße »in das gleiche Horn … wie die westdeutsche Informationsindustrie« und setze sich dem Verdacht aus, »mit jenen Polen zu sympathisieren, die das heutige allein existenzfähige Polen, das sozialistische, zerstören, die dort die Regierung stürzen wollen und damit dieses Land ineinen verhängnisvollen Bürgerkrieg«. Als Bischof Krusche im Dezember auf diesen Brief antwortete, war in Polen bereits das Kriegsrecht ausgerufen worden. Er musste Girnus bei allem Verständnis für dessen Biografie fragen, ob er sich nicht erst einmal hätte informieren müssen, was er, Krusche, geäußert habe. Übrigens hatte der »Evangelische Pressedienst« recht objektiv berichtet, aber in der Logik der SED konnte auf einer Kirchenversammlung gewissermaßen nur der »Generalsekretär« solche Sätze gesagt bzw. veranlasst haben. Ein »schönes« Beispiel dafür, dass die Staatsmacht stets nur im Rahmen ihrer eigenen Praktiken denken und urteilen konnte. Eigenständiges, eigenverantwortetes Reden innerhalb der Kirche hielt sie nicht für möglich. Überall vermutete das Regime ein Komplott, die Außensteuerung, die CIA gar, von der die »5. Kolonne Kirche« vorgeschickt wurde.
Im Sommer 1976 hatte ich in einem Hauseingang in der Nähe des alten Marktes in Warszawa den Namen K. Brandys entdeckt. Ich fasste mir zusammen mit zwei Freunden ein Herz, wir klingelten und trafen tatsächlich den von uns verehrten Schriftsteller und Publizisten Kazimierz Brandys an. Er wurde in der Nazizeit verfolgt, war im befreiten Polen wieder ein Dissident, ein ebenso streitbarer wie feinsinniger Sozialdemokrat. Sein Tagebuch von 1978 bis 1981 sollte uns das System des Kommunismus enthüllen. Ich hatte den Atem angehalten, als ich mit 21 Jahren in Brandy's Buch »Briefe an Frau Z.« las, dass an der Universität Lwów vor dem 1. September 1939 zwei jüdische Studenten ermordet worden waren und Mitglieder linker Organisationen von den Hochschulen relegiert wurden, während die Kampfgruppen der Rechten uneingeschränkte Toleranz genossen hatten. »Wir hatten nicht die geringsten Illusionen – der Faschismus stand in Polen
Weitere Kostenlose Bücher