Klar sehen und doch hoffen
abservierte: Jacek Kuroń sei »durch Aufrufe zu Brandstiftungen und Scheiterhaufen berühmt« geworden; Solidarność verfüge über »Kampfgruppen nach dem Vorbild der SA«; »durch verlogene und heuchlerische Auslassungen zu ›Demokratie‹ und ›Freiheit‹ an sich, über ein ›selbstverwaltetes Polen‹ sind viele Menschen irregeführt worden«.
Darauf zeigte sich der in der SED tief verwurzelte Anti-Intellektualismus (ND, 11. Juli 1981): »Selbst für die sonst in höheren Sphären schwebenden und in langen Diskussionen neue Modelle ersinnenden Intellektuellen überlagert das Versorgungsproblem bereits manchmal die Dispute.« Pure Schadenfreude mit Arroganz gewürzt! Eben aus diesem Grunde setzte die SED alles daran, eine stabile Fleischversorgung in der DDR zu gewährleisten. Als sich damals der Gesundheitsminister beim Politbüro über die Überdüngung und Vergiftung des Ackerbodens beschwerte, wurde ihm sehr kurz und knapp beschieden: »Machen Sie lieber die Leute gesund, als dass wir polnische Zustände bei der Versorgung mit Fleisch kriegen.«
Meldungen über Polen in den DDR-Medien, gehässig, verunglimpfend, herablassend, hatten natürlich auch den Charakter einer Drohgebärde gegen die »konterrevolutionären Kräfte« im eigenen Lande, Menschen zuvörderst, die sich in der unabhängigen Friedensbewegung sammelten. Unheilbeschwörend wurde von Zusammenrottungen und rowdyhaften Ausschreitungen durch Vertreter dieser polnischen»Gewerkschaft« gesprochen, von koordinierter konterrevolutionärer Tätigkeit, von Feinden, die sich in Solidarność eingenistet hätten. Die Strategen des Antikommunismus »wollen die Organe der Volksmacht lähmen und eine Herrschaft der Rechtlosigkeit, des psychischen und physischen Terrors einführen und beabsichtigen, ihren antisowjetischen Kurs auf einer Welle des aufgeputschten Nationalismus zu verwirklichen«. Aber, so wird versichert, »in diesem Kampf gegen die tobende Konterrevolution sind die gesunden Kräfte nicht allein«.
Gesunde Kräfte. Das Gegenteil davon: die Schädlinge. Volksschädlinge. Der Kommunismus als Kammerjägerei im Geschichtsauftrag. Die reine Lehre gegen den Dreck. Wasserwerfer gegen den Schmutz. Diese ND-Hetze heute lesend, ist der Schock sofort wieder da, auch das Entsetzen über jene, die noch immer ein System verklären, das solche Töne des höchst lebendigen Stalinismus von sich gab. Es sind Hinrichtungen per Rhetorik. Es sind Säuberungen per Gehirnschüsse aus Waffen der Propaganda. Mich wühlte diese Unverschämtheit auf. Ich sandte am 8. Oktober 1981 einen längeren Leserbrief an das ND, wissend, dass so ein Brief auch an das Staatssekretariat für Kirchenfragen und die Staatssicherheit weitergeleitet wurde. Ich bedauerte »ausdrücklich, wie die Art der Berichterstattung über die Konflikte in Volkspolen genau diese Grundstimmung unterstützt und … etwas auslöst, was wohl nicht beabsichtigt sein kann: Intoleranz, Unverständnis oder Arroganz. Die Polen sollen endlich mal arbeiten, statt …, so höre ich.« Einige Nebentöne des ND brandmarkte ich als gefährliches Spiel mit dem Feuer. Durch Polemik könne es »zu einem gegenseitigen Aufschaukelungseffekt kommen, den im Grunde niemand gewollt« habe. Am Ende betonte ich die Wichtigkeit eines echten Dialogs.
Am 29. Oktober 1981 erhielt ich von der Redaktion eineAntwort, die mich wie eine Keule traf. Da wurden mir »unumstößliche Wahrheiten« entgegengehalten: Die Freundschaft der Völker sei durch die Befreiungstat der Sowjetunion für immer besiegelt, »CIA-gelenkte Subjekte« würden massiert versuchen, Einfluss zu nehmen. »Durch die Vorgänge selbst bestätigt sich, dass in Polen ein kaum noch gezügeltes ›Treiben konterrevolutionärer Elemente‹ vor sich geht. Diese Elemente versuchen, mit nationalistischer, antisozialistischer und antisowjetischer Stimmungsmache große Teile des Volkes zu verwirren und gegen seine ureigenen Interessen zu mobilisieren.«
Das ND bescheinigte sich, sachlich und angemessen über die polnische Entwicklung berichtet zu haben. Dann wörtlich: »Sie stört die Formulierung ›Kampfgruppen nach dem Vorbild der SA‹. Aber sind denn Morddrohungen und brutale Prügelattacken gegen jene, die dem Chaos zu Leibe gehen wollen, sind denn antisowjetische Grabschändungen etwas anderes als der Stil von Nazihorden? In der Tat – und das ist auch an der polnischen Geschichte erkennbar – sind die blutigen und grausamen Praktiken der Reaktion, wie
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