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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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KGB-Abteilung in Dresden, die nahen Kontakt zur Familie Ludmilla und Wladimir Putin hatte. Sie berichtete im Detail über die familiären Verhältnisse, die Gewaltakte Wladimirs an seiner Frau und seine Schürzenjägerei an den BND, ganz wie man es aus Stasiakten gewöhnt ist. Als sie ein Kind vom Chef der KGB-Abteilung erwartete und es zu Komplikationen kam, durfte sie zur ärztlichen Behandlung in den Westen. Sie blieb. Sie hatte den Zwiespalt nicht mehr ausgehalten. Der BND verschaffte ihr eine neue Identität.
    Es war eine verkehrte Welt. Bei den Begegnungen während der Leipziger Messe hatten sich unter die westdeutschen Teilnehmer DKP-Sympathisanten gemischt. Wir gewannen bisweilen den Eindruck, dass sie uns als Westdeutsche im Osten ausspionierten und alles an die östlichen Behörden weitertrugen. Sie waren besonders an Teilnehmerlisten interessiert. Die Räume in der Erhard-Kästner-Straße waren verwanzt, und in der Straße parkte ein Lada mit zwei Herren. Aber das machte uns nicht mundtot. Wir redeten, als ob es sie nicht gäbe. Seither sind mir der damalige Stadtjugendpfarrer von Köln Manfred Kock und seine Frau Gisela nahe Freunde.
    Wie dankbar war ich, dass einige Studenten, die ich in den 60er-Jahren aus den Partnergemeinden in Frankfurt und Göttingenkennengelernt hatte, uns in den 70er-Jahren besuchten und den Mut hatten, mir Solschenizyns »Krebsstation«, den »Archipel Gulag« und Blochs »Prinzip Hoffnung« rüberzuschmuggeln.
    Unter den Besuchern war auch eine Frau, deren Angehörige ich aus Werben schon kannte und mit der ich mich angefreundet hatte. Liesel brachte mir 1965 Arthur Koestlers »Diesseits von Gut und Böse« mit, gewidmet mit dem Laotse-Satz: »Seiner Bestimmung folgen heißt: Dauern jenseits der Zeit«. So erfuhr ich, wie ehemalige Stalinisten sich lösten und manche von ihnen mit der gleichen Vehemenz, mit der sie Stalinisten gewesen waren, nun zu Anti-Stalinisten wurden. Ich schaute in Abgründe. Was hatten sie erlebt, diese Spanien-Kämpfer, die Kämpfer gegen den Faschismus, durch die Schergen des KGB und durch ihre Handlanger wie Erich Mielke. Aber ich konnte – wohl auch mit Hilfe meines Vaters – respektieren und achten, dass Menschen von ihren Verirrungen frei werden können. Ich lernte verstehen, wie sie in dieses ebenso faszinierende wie paranoide System geraten konnten. Zumal dann, wenn sie als Internationalisten Juden waren und als Juden Internationalisten, für die die Sowjetunion die große Hoffnung war. Auch Lion Feuchtwanger und viele andere waren lange Zeit wie verblendet. Ein innerer Widerstand hinderte sie, die Realität zu sehen.
    Nur mit meinem Vater konnte ich seinerzeit über solche Fragen sprechen. Er vertraute mir das Buch »Ein Gott der keiner war« an, in dem Ignazio Silone, André Gide, Louis Fischer, Richard Wright, Stephen Spender und Arthur Koestler ihren Weg zum Kommunismus und ihre Abkehr schildern. Koestler schrieb über das Paradox der schiefen Ebene : »Entweder glaubt man, dass der Zweck die Mittel heiligt, oder man glaubt, dass die Mittel den Zweck heiligen.« Pascal habe dieses Paradox schon erkannt:
    »Der Mensch ist weder ein Engel noch ein Tier,
    Und sein Unglück ist, dass er umso mehr vertiert,
    Je mehr er ein Engel sein will.
    Die Geschichte der Inquisition, der Französischen Revolution und der russischen Säuberungen legt ein beredtes Zeugnis davon ab.« 13
    Vielleicht können Menschen wie Koestler, die an Welterlösungsprojekten gläubig mitgewirkt hatten, in denen die größten Verbrechen für die größte Sache begangen wurden, besonders gut analysieren, was da passierte. Einige merken nicht, wie fanatisch sie gegen das argumentieren, was sie vorher fanatisch propagiert hatten.
    Wie Freiheit und Friede zusammenhängen und warum sie nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, ebenso wenig wie Gleichheit und Freiheit – das sollte mich jahrzehntelang beschäftigen. Koestler hatte 1950 notiert: »Unsere Zivilisation darf nicht sterben. Freiheit und Friede sind die Voraussetzung für ihr Weiterleben. Wir nennen die Freiheit zuerst, weil der Friede eine Funktion der Freiheit ist. Ein versklavtes Volk kann von seinen Führern jederzeit in eine geistige Kriegshysterie und materielle Aggression hineingetrieben werden … Der Geist der Aggression wächst bei einem Volk in dem Maß, in dem es seiner Freiheiten beraubt wird.« 14
    Ich blieb einerseits allen Konvertiten gegenüber (kommunistisch »Renegaten« genannt) skeptisch, weil

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