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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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im Sommer 1978 keine Genehmigungen mehr für den Besuch von Freunden aus dem Westen. Nicht eine einzige. Wir baten unsere Freunde im Kreis Jessen oder in Leuna, Anträge für unsere Freunde aus Köln oder Nürnberg zu stellen. Dort bekamen sie problemlos ihre Zusagen, meldeten sich dort bei der Polizei an und gleich wieder ab, kamen dann sofort zu uns und blieben bei uns, völlig unbehelligt. Das System hatte – oder ließ? – immer wieder Lücken.
    Als wir unseren Westberliner Partnerfriedenskreis zu Gast hatten, hatten sie vergessen, an ihrem alten Mercedes das Licht auszuschalten. Nun stand das Auto unbewegbar auf dem Parkplatz. Eine Werkstatt war nicht mehr aufzutreiben. Was für eine Aktion war es, zurückgebliebene minderjährige Kinder in Westberlin beruhigen und versorgen zu lassen. Wie am frühen Abend auf normalem Wege eine Telefonleitung nach Westberlin bekommen?
    Das ging nicht einmal mit zehnfachem Preis eines »Blitztelefonats«. Zwei Frauen fuhren mit dem Zug nach Ostberlin und reisten noch vor 24.00 Uhr über den Tränenpalast nach Westberlin ein. Die andern Freunde nahmen Quartier im Hotel »Wittenberger Hof« und fuhren am nächsten Tag, nachdem die Batterie von einer Werkstatt aufgeladen worden war, nach Berlin zurück und bekamen an der Grenze keine Probleme. Dieser Vorfall blieb auch ohne Folgen für deren nächste Besuche. Unsere Hexe »Gitte« (Brigitte W.) hatte natürlich alles gemeldet. Sie wussten alles. Aber sie ließen uns gewähren.
    Seit Oktober 1982 konnte ich mehrfach in den Westen reisen. Mein Koffer wurde bei der Ausreise mehrmals hochnotpeinlichkontrolliert, aber nie bei der Wiedereinreise. Die Organe interessierte: Was nimmt er mit? Man konfiszierte im März 1989 meinen Vortrag und die zwanzig Wittenberger Thesen, ließ mich aber nach einigen Stunden die Grenze überqueren. Aus diesem Grunde habe ich im Juni 1989 meine Papiere, die Predigt, die Vorträge und Thesen für den 23. Evangelischen Kirchentag durch den gut befreundeten und vertrauten FR-Korrespondenten Karl-Heinz Baum nach Westberlin schaffen lassen.
    Besonders böse war ich darüber, dass die 1966 für meinen Freund Konrad Well aus Frankfurt genehmigten Einreisepapiere (als angeblicher »Cousin«) ihn nicht erreicht hatten. Ich war in Halle an den Zug gegangen, mit dem er ankommen sollte, auch auf meine briefliche Nachfrage reagierte er überhaupt nicht. Ich fand die Briefe in der Stasiakte. Vielleicht hatten die Organe doch mitbekommen, dass Konrad Well mir im Sommer in der Nähe einer Autobahnraststätte in der DDR verbotene Bücher übergeben hatte.
    Das System ließ Lücken. Wer hinterher alles gänzlich verdüstert, weiß kaum, was wirkliche Finsternis ist – unter Stalin und Pol Pot, Franco und Mao, dem Schah und Chomeni. Wer zudem so sehr auf Vergangenheit fixiert bleibt, dass er das Erbe des totalitären SED-Staates noch und noch aufarbeitet, dürfte nicht die Klappe halten, wenn heutige Geheimdienste der Welt sich grobe Menschenrechtsverletzungen herausnehmen zu dürfen gestatten.
KONSUMSENDER UND LIPSISCHRITT
    Im eingemauerten Land, das sich offiziell »unsere Deutsche Demokratische Republik« nannte, waren Brot, Mieten, Straßenbahnfahrscheine und Theaterkarten billig. Täglich konntedie Zeitung über die Einheit von Volk und Partei berichten. Und alles, was wir taten, taten wir für den Frieden: ob das planmäßige, zahlenmäßig vorgegebene Abferkeln der Säue, ob die Fertigung von Dederonschürzen oder die Wachsamkeit an der Friedensgrenze. Überall gab es einen »Kampfplatz für den Frieden« – und das schloss tägliche Anstrengung mit Wachsamkeit aller gegen Feinde, Sabotage und Schlendrian ein. Der Theorie nach. Neben der löchrigen Straße die Stellwände mit der »Straße der Besten«. Alle Bürger waren »unsere Menschen«, aber es gab überall »sone und solche«, selbst in der Partei. Es waren zwar alle gesellschaftlich organisiert, und das Kollektiv war der offizielle Hort des Glücks und der Selbstverwirklichung, aber es gab sone, die zu Hause keinesfalls Konsumsender hörten (und die das unschwer an den Stimmen, erst recht an der Schlagermusik unterscheiden konnten), und solche, die keinesfalls den »Schmutz und Schund aus dem Westen« sahen, deren Kinder aber (und sei’s im Blauhemd) zu ihren anderen Freunden gehen mussten, um einmal »West« (Rudi Carell und Wenke Myhre) sehen zu können – und das ihren Eltern keinesfalls verrieten. Die Kinder lernten frühzeitig, dass das wirkliche

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