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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Studentenwohnheim, das sogenannte Sprachenkonvikt in Halle/Saale. Der für uns drei Studieninspektoren zuständige Propst war Walter Münker. Wir mussten ihm regelmäßig Bericht geben über unsere Häuser, über die innere und äußere Situation. Dort bin ich nie mit Magendrücken hingegangen. Dort konnten die schönen, aber auch die schwierigen Dinge, das Gelingende und das Misslingende angstfrei benannt und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. Nachdem wir Kaffee getrunken und den von seiner Frau gebackenen Kuchen gegessen hatten, unsere Berichte eher erzählend übermittelt hatten, zog der Propst behände die Tischdecke vom Tisch, warf die Skatkarten drauf.Und dann begann das Leben. Walter Münker war (wie mein Vater) ein leidenschaftlicher Skatspieler. Und er konnte sehr gut spielen, konnte das Gewinnen genießen. Das für mich langfristig Prägende an dieser Begegnung war: Es gibt Zeit zu reden, zu arbeiten, ernst zu sein, zu diskutieren, zu klagen, Rechenschaft zu geben. Und es gibt Zeit, mit Lust zu spielen und alles andere hinter sich zu lassen. Einen richtigen Skat dreschen! Das tut der Seele einfach gut. Und es muss nicht einmal Bier dabei sein.
    Bei einer solchen Begegnung hatte ich ausnahmsweise einmal die Nase weit vorn. Ich gewann und gewann. Walter Münker sagte: »Spielen kann er nicht, aber Dusel hat er.« Ich konnte lachen, und er hatte Recht. Oft hatte ich später in meinem Leben Dusel und war besser, als andere das von mir gedacht hatten, und viel besser, als ich selber von mir gedacht hatte: Einfach nur Glück, natürlich auch Einsatz.
DEN AUFRECHTEN GANG ÜBEN
    Für mein Vikariat hatte ich mich in Halle-Neustadt beworben. In dieser aus dem Boden gestampften pseudo-»sozialistischen Musterstadt«, einer rauen, unwirtlichen Plattenbaugegend, traf man auf jede nur denkbare Kirchendistanz bis -feindschaft. Umso erstaunlicher die gut strukturierte Hauskreisarbeit und die tapferen missionarischen Versuche. Kirchliche Mitarbeiter und Gemeindeglieder zogen, um das Gespräch auch mit kirchenfernen Bürgern zu suchen und sie ohne Vorbedingung einzuladen, von Wohnung zu Wohnung, von Treppenhaus zu Treppenhaus. Das waren schon seelische Härtetests, wenn ich an 19 von 20 Türen mehr oder weniger kalt abgewiesen wurde, nachdem ich zu erkennen gegeben hatte, dass ich von der evangelischen Kirche kam. Jeder Druckauf einen Klingelknopf eröffnete quasi, ohne dass viele Worte fielen, einen Gerichtsprozess; ich sah in manchen Blicken, dass mit mir, der doch nur einige freundliche Sätze sagen wollte, plötzlich und ohne Gnade alles unter strengster Anklage stand, was der Klerus je in der Geschichte verbrochen hatte. Wenn die DDR eines mit Gewissheit hinterlassen hat, dann diesen mehr oder weniger festgezurrten Atheismus, resultierend aus antireligiöser Dauerpropaganda, die durchaus auf historisch Unabweisbares verwies. Was war nicht alles »im Namen Gottes« angerichtet worden?
    Als Gebäudereparateur getarnt, schachtete ich gemeinsam mit Gemeindegliedern und Studenten jenes Konvikts, das ich leitete, die Fundamente für ein nicht genehmigtes Gemeindehaus aus. Jeden Tag rechneten wir damit, dass die Bauaufsicht uns die Weiterarbeit untersagen würde. Sie kam nicht. Von heute aus betrachtet, errichteten wir damals ein ziemlich kleines, niedriges, geradezu schäbiges Gebäude. Es stand verloren, abseits von den Hochhäusern. Die Optik spiegelte damalige Kräfteverhältnisse. Ob man aus solchem Anblick Ermutigung und Trotz schöpfen oder resignativ und kraftlos werden sollte, blieb ambivalent.
    Mit den Kirchenmitarbeitern dort hatte ich einige Konflikte (oder sie mit mir) – ich wollte partout nicht akzeptieren, dass einer von ihnen Halle-Neustadt als einen verwirklichten sozialen Traum der Arbeiterklasse bezeichnete. Und das ohne jede Ironie! Zudem fürchtete ich, der Gottesdienst könnte gar zu dürftig werden, wenn wir ihn mit Rücksicht auf die Leute allzu sehr erden, alles banalisieren und auf Ritus, etwa auf Elemente traditioneller Liturgie, völlig verzichten. Tradition und Erneuerung waren für mich schon damals die beiden unverzichtbaren Eckpunkte unseres kirchlichen Auftrags, heutig zu sein. Aber Erneuerung und Tradition sollen in kluger Korrespondenz stehen.
    Merseburger Pfarrkonvent 1973 mit Superintendent Martin Ziegler
    Damals lernte ich den in Merseburg überraschenderweise zum Superintendenten berufenen Martin Ziegler kennen und fasste den Entschluss, in seinem Kirchenkreis als Pfarrer zu

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