Klar sehen und doch hoffen
flehentlicher Bitten ab. Nicht schon wieder ich! Als ich aber Ende März eine Dokumentation vom CUR bekam, bot ich doch meine Mitwirkung an, da ich es als meine Pflicht ansah, diese Protest- und Aufklärungsarbeit zu unterstützen. In meiner Predigt zu Jesaja 45, 18 – 22 auf dem Umweltseminar in Deutzen sagte ich, Gott lade alle Völker ein, sich von ihren Ideologien zu lösen und sich ihm zuzuwenden. »Nicht an ein totes Prinzip ›Gott‹ sollen sie sich wenden, sondern an den, der die Erde bewohnbar gemacht hat. Das hieße, sich abzuwenden von einer Ideologie und von einer Praxis, die die Schöpfung zerstört. Zerstörte Schöpfung ist praktischer Atheismus, ist die Idee, die zur materiellen Gewalt geworden ist, indem sie die Massen im Herrschafts- und Konsumrausch ergriff. Die Massen? Uns . … Hier in dieser Gegend droht der Schöpfungssinn umgekehrt zu werden. Kaum einer von uns kann sagen, dass er schuldlos daran sei. … Ihr zahlt die Zeche, aber wir alle trinken . Was hier geschieht, geschieht dem ganzen Land. So werden wir schuldig an unserenVor- und an unseren Nachfahren. Unser Energiehunger hat die Bewohnbarkeit aufgefressen. Wir haben uns in die Erde hineingewühlt, sie ausgekohlt und ausgesaugt, die Natur gebeutelt – indem wir uns Konsumsubventionen gefallen lassen und für Ökologieinvestitionen kein Geld haben. Das ist eine der Klotz-am-Bein-Ideologien, an denen wir leiden, eine nur. … Wir überweiden, überfischen, überdüngen, überrüsten.« Verleugnen und Verschweigen seien » untaugliche Lösungsstrategien, auch wenn sie aus der Absicht erfolgen, uns als Schutz- und Schonungsbedürftige zu behandeln, die man nicht entmutigen darf. Oder haben die staatlichen Verantwortungsträger Angst, für alles verantwortlich gemacht zu werden, und trösten sich mit dem Glauben, sie hätten uns alles gegeben und sie hätten ›immer Recht‹? … Die Wahrheit über das Ausmaß der Gefährdung wäre bestürzend und befreiend zugleich. Und wir alle müssten den Preis bezahlen, und ich bin nicht sicher, ob wir schon wissen, wie hoch er ist, und ob wir bereit wären, ihn zu zahlen. Ich bin, für mich gesagt, da unsicher.« Um das Bewusstsein aller auch auf politisch schwierige Schritte vorzubereiten, genüge Informieren nicht, im Westen könne »man alles wissen, aber geschehen tut auch recht wenig«.
Umweltgottesdienst in Deutzen Juni 1988
Ich mahnte: »Wir brauchen einen Dialog der universalen Überlebensvernunft, um uns und unseren Nachfahren die Bewohnbarkeit zu erhalten.« Deshalb müssten wir andere Prioritäten setzen und nicht einem bloßen Betroffenheitskult frönen. »Vielleicht muss die Prioritätenänderung im Bewusstsein jetzt in die gesellschaftliche Wirklichkeit hinein. Das Risiko trifft doch alle. … Wir brauchen Beratung, gemeinsame Beratung, über das Götzenbild, unser Götzenbild eines Wohlstandes, der die Bewohnbarkeit des Planeten territorial und großräumig, ja global gefährdet. Wir selber haben mit uns Gericht zu halten . Das wird hart und befreiend. … Wir Menschen sindmit unserem Werk allein, ganz allein. Das, was wir an zerstörter Schöpfung erleben, ist nicht das Strafgericht Gottes an uns, sondern unser Selbstgericht. … Tun wir etwas mit den Möglichkeiten, die uns gegeben sind, bevor es zu spät ist. Gott stellt sich hier vor als das universalistische Lebensangebot und nicht als eine partikulare Ideologie. Gottesglaube wird zum Aufstand gegen jeglichen Nihilismus, den philosophischen und den ökologischen. Es soll nicht nurnicht Nichts sein – auch dieser Fleck der Erde zwischen Deutzen und Espenhain soll bewohnbar bleiben. Amen.«
Diese Predigt löste bei einem beträchtlichen Teil der etwa 250 Besucher spontane Zustimmung aus, was sich im ungewöhnlichen Klatschen äußerte; andere waren entsetzt, auch Kirchenobere. Die Beschwichtigungsideologie in der Kirche war – in gutem Glauben – intakt. Im Gemeindeblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hieß es: »Ich hatte große Mühe, den Gottesdienst am Nachmittag als Gottesdienst zu erkennen. Sicher muss in einer Predigt – zumal an diesem Ort! – deutlich gesagt werden: Wer die Erde unbewohnbar macht, vergeht sich am Sinn der Schöpfung, ja an Gott selbst! … Doch wenn die sprachlich geschliffene Predigt eine Rede wird, die in der Schuldzuweisung an staatlichen Verantwortungsträgern hängenbleibt, dann fürchte ich, dass der Prediger sich selbst ad absurdum führt und die Tür für den so
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