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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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dringend notwendigen Dialog nicht eben weit aufreißt. Dass ich es nicht allein so empfunden habe, erfuhr ich später: Ein Gottesdienstbesucher hatte sich bei dem gesprächsoffenen Marxisten für die Predigt entschuldigt. (Helmut Jäckel).« Der zuständige Oberkirchenrat Dr. Auerbach aus Dresden wies mich in einem Brief auf die notwendige Trennung von geistlichem und weltlichem Mandat hin und meinte, die Predigt habe ihr Mandat überschritten, ja gar verletzt; »diese Jesaja-Texte sind zu wertvoll, um auf diese Weise zerschlissen zu werden«. In der Tat war es schwierig, die Zusammenhänge von sauberer Luft, sauberem Wasser und zumutbarem Lebensraum mit den Versprechungen der Bibel so zu verknüpfen, dass die Synthese von »Wahrheit sagen« und »Mut machen« gelang. Dieser Konflikt besteht weiter bei der Grenzwanderung zwischen Theologie und Politik, zwischen Predigt und politischer Rede.
    Das geistliche Drüber-weg-Reden oder Verniedlichen vonProblemen in guter seelsorgerischer Absicht gehört nicht zu meinen Begabungen. Das Überschreiten des politisch und öffentlich Vertretbaren war und ist für mich nicht vermeidbar. Wo es ums Ganze geht, muss man aufs Ganze gehen. Nach 1990 erfuhr ich, dass der schärfste DDR-Kritiker auf dem Podium in Deutzen ein Stasimitarbeiter gewesen ist. Es genügt nie die einfache Wahrheit. Hatte er dort seine wirkliche Meinung vertreten, und konnte er sie sagen, weil er als Spitzel geschützt war?
    Inzwischen ist die Landschaft südlich von Leipzig zum Erholungsgebiet geworden. Und doch sind Verwundungen geblieben. Der Wandel von einem Industrieraum des 20. Jahrhunderts zu einem Lebens-, Wirtschafts- und Kulturraum des 21. Jahrhunderts geht weiter. Mehrere Mitglieder aus dem Christlichen Umweltseminar Rötha übernahmen nach 1990 Verantwortung, ob als Stadträte, Bürgermeister, Regierungspräsidenten oder Staatsminister. Sie haben versucht, klassische Wirtschaftsförderung mit der Suche nach neuen Ideen zu verbinden, um noch vorhandene Arbeitsplätze zu sichern, aber auch Arbeitsplätze im Bereich neuer Technologien zu schaffen und hierfür die mentalen Grundlagen zu legen.
    Im Übrigen gehöre ich zu denen, die verhindern wollen, dass Röcken, der Geburts- und Bestattungsort Friedrich Nietzsches, wegen des schier unstillbaren Energiehungers von der Landkarte verschwindet.
MEIN BILD – MATTHEUERS »JAHRHUNDERTSCHRITT«
    1991 wurde im ZDF eine Reihe mit dem Titel »Mein Bild« aufgelegt, zu der Ost- und Westdeutsche eingeladen waren. Als ich gefragt wurde, ob ich mitmachen wolle und welches Bild ich dafür vorsähe, nannte ich spontan Mattheuers »Jahrhundertschritt«.Bis dahin kannte ich diese Skulptur nur von Fotos, verbunden mit verschiedenen Entwürfen, die Mattheuer dazu gemacht hatte. Ich wurde eingeladen, mir die vor dem schicken Gebäude der Kronen-Kredit-Bank in der Budapester Straße in Berlin aufgestellte Plastik anzuschauen.
    Selten hat mich ein Kunstwerk so erschüttert wie dieses. Das Fernsehen wollte die spontane Reaktion einfangen. Ich lief um die Skulptur herum, linksrum, rechtsrum, und weiß noch, dass ich viel stotterte aus Erschütterung und Begeisterung über die Wahrheit jener Figur, die deutlich macht, dass man so keinen Schritt weiterkommen kann. Zudem war ich begeistert darüber, dass ein Künstler aus der DDR es gewagt hatte, eine Figur zu gestalten mit dem römischen Gruß und der Arbeiterfaust, mit einem in den aufgerissenen Brustkorb gesteckten, nach innen gewendeten Kopf und den Blutstreifen eines Generals an einem Bein. Also, diese beiden Totalitarismen aus einer Wurzel kommen zu lassen und zu zeigen, dass beides nicht in die Zukunft führt.
    Der Regisseur des Fernsehbeitrages war’s zufrieden, bis sich herausstellte, dass der Ton nicht funktioniert hatte. Er sagte, es tue ihm leid, das sei gut gewesen, aber jetzt müsse ich das Ganze wiederholen. Ich war fix und fertig. Ich hatte alles von mir gegeben und konnte nun nicht etwas spielen, was kurz vorher ganz echt gewesen war. Dann habe ich mehr aus der Distanz gesprochen.
    »Ich bin erschüttert, erschüttert über die Verschärfung des Widerspruchs, der ohnehin in der Skulptur steckt, dadurch, dass sie nun vor einem Tempel des Geldes steht. Und in der Perspektive sehe ich die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und ansonsten ringsum das prosperierende Leben Berlins. Das ist ein Platz, der herausfordert. Ich find’s gut, dass gerade dieses politische Mahn-Mal nicht in einer Galerie ganz vom

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