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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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endlich eine Lektion zu erteilen.
    Nach der ersten »Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« in Dresden am 13. Februar 1988 hatte ich in einer Meditation u. a. gesagt:
    »Die Schöpfung ist vermessen, das Maß verloren, das Tempo überschritten. Nun drängt die Zeit. Sie wird zur Frist. Der Überfluss produziert den Mangel. Das Wachstum wuchert, und die Wüsten wachsen. Der Lebenshunger ist geworden zur Verbrauchergier. Das Sicherheitsbedürfnis schafft sich das Zerstörungspotential. Aus Angst wird Angst gemacht. Unruhe macht sich breit. Sie ist zur Bewegung geworden.« Politiker seien zwar »zu überraschenden Hoffnungsträgern« geworden, doch die Überlebensvernunft gerate wieder unter die Räder der Systemzwänge, das »Neue Denken« werde in der Eigengesetzlichkeit der Apparate verstrickt. »Ausgrenzen. Abschrecken. Ausweisen. – ›Organe‹ befassen sich wieder mit ›Elementen‹. Und das Volk greift ein in die rhetorische Schlacht. – ›Härte‹ heißt das alte Wort. Personen abschieben, Probleme aufschieben. Wie lange noch? Und wir graben uns wieder die alten Gräben.«
    Ich wurde telefonisch zum Rat des Kreises Wittenberg zitiert. Der Stellvertreter für Inneres fragte mit drohender Gebärde, was ich gemeint hätte, als ich in Dresden gesagt hätte: »Das Maß ist verlogen.« Meine Antwort: »Wer den inneren Zusammenhang der Passage verstanden hat, wird erkennen, dass es keinen Sinn machen würde, an dieser Stelle vom ›verlogenen‹ Maß zu sprechen.« Sigmund Freud lässt die Stasiabhörer grüßen.
    Die Beschreibung von Wirklichkeit galt als Provokation. Was war nach den Rosa-Luxemburg-Demonstrationen im Januar 1988 geschehen? Wurden nicht Probleme aufgeschoben, Personen abgeschoben? Wurde nicht ausgegrenzt, abgeschreckt,ausgewiesen? Ich stellte die Hörfehler richtig. Dass dies als Information »nach oben« weitergegeben werden konnte, ist unwahrscheinlich. »Durchgestellt« wurde immer nur von oben nach unten. Mein Gesprächspartner beim Rat des Kreises gab sich am Schluss etwas milder als zu Beginn. Ich war für solche Gesten durchaus empfänglich, deutete ich sie doch als kleines Zeichen von Verständnisbereitschaft und Menschlichkeit der Mächtigen. Wie oft ich in solchen Fällen naiv gewesen bin, will ich nachträglich nicht wissen. Die Desillusionierung könnte niederschmetternd sein.
    Das Maß war doch »verlogen« bis zum menschenverachtenden Zynismus, wie ich erfahren habe, als ich den Wortlaut der vertraulichen Verschlusssache (VVS) über geheim zu haltende Umweltdaten in die Hände bekam. In der Weisung des DDR-Umweltministers vom 16. November 1982 steht: »Zur Durchsetzung einer einheitlichen Handhabung zu gewinnender oder zu bearbeitender Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt in der DDR als Staats- bzw. Dienstgeheimnis sowie zur Vermeidung von Parallel- und Doppelarbeiten sowie zur Erhöhung der Aussagefähigkeit dieser Informationen wird im Einvernehmen mit den Leitern der zuständigen zentralen Staatsorgane folgendes angeordnet … § 2, Abschn. 1: Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt im Sinne dieser Anordnungen sind Messwerte über die Konzentration von Giften und Schadstoffen in der Luft, im Wasser und im Boden, in wildlebenden Tieren und in Pflanzen, sowie Messwerte von elektromagnetischen Feldern, einschließlich deren Zusammenstellung und Darstellung. § 3, Abs. 2: Die Zustimmung zur Gewinnung oder Bearbeitung von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt ist schriftlich beim zuständigen Rat des Bezirkes zu beantragen. … Die Zustimmung kann mit Auflagen verbunden werden.«
    Unter der Überschrift »Grundsätze« heißt es in der zentralen Nomenklatur zu dieser Anordnung vom 27. Februar 1984:
    »Als Staats- bzw. Dienstgeheimnisse entsprechend Abschn. 11 sind einzustufen:
    1. Gemessene oder berechnete Werte der Immissionskonzentration von Luftschadstoffen, wenn sie in den Rechtsvorschriften festgelegte MIK-Werte überschreiten.
    2. Gemessene oder berechnete Werte der Konzentration von Inhaltsstoffen (Schadstoffe, Gifte) in anthropogen beeinflussten Gewässern, in Niederschlag sowie im Trinkwasser, wenn die in der Anlage festgelegten Grenzwerte überschritten werden.
    3. Gemessene oder berechnete Werte der Konzentration von Giften und Schadstoffen im Boden, unabhängig von ihrer Konzentration.
    4. Gemessene oder berechnete Werte der Konzentration von Inhaltsstoffen im Abwasser, bei

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