Klassentreffen (German Edition)
machte keine Anstalten, seine Hände von ihren Schultern zu nehmen. Und er war stärker als sie. »Ich wiederhole mich nur noch ein allerletztes Mal«, sagte er leise und scheinbar sanft. »Entweder du gehst mit mir aus, oder morgen weiß die ganze Schule Bescheid, mit wem du es so treibst.« Sein Daumen kreiste über Meikes Schulter. Er lehnte sich dichter an sie, so dass sie seine Lippen fast an ihrem Ohr spüren konnte. »Lesbe«, zischte er.
Meikes Kehle war wie zugeschnürt. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie musste selbst steuern, wer wann etwas erfuhr. Aber Karsten würde nicht vor einem Zwangsouting zurückschrecken – da war sie sich sicher.
»Also, was ist?« Er wich etwas zurück, um ihr in die Augen sehen zu können.
Meikes Beine zitterten. Sie musste sich am Tisch festhalten. »In Ordnung.«
»Das heißt, du gehst mit mir aus?« Seine Stimme triefte förmlich vor Genugtuung.
»Ich gehe mit dir aus. Aber dann lässt du mich in Ruhe.«
Karsten grinste hämisch. »Ich wusste, du würdest zur Vernunft kommen. Ich freue mich.« Er leckte sich über die Lippen.
Meike wurde schlecht.
»Die genaue Zeit und den Ort werde ich dir noch mitteilen. Aber halt dir mal den nächsten Montag frei.« Damit drehte er sich um und ging. Selbst von hinten war ihm sein Triumph anzusehen.
Meike blieb niedergeschmettert zurück. Was hatte sie nur getan? Es konnte doch nur schiefgehen. Jetzt hatte er sie noch fester in der Hand, obwohl sie doch gerade das hatte verhindern wollen. Er würde sie niemals in Ruhe lassen – jetzt erst recht nicht mehr.
Franzi tauchte mit einem Kopfsprung in das kühle Wasser ein. In gleichmäßigen Zügen schwamm sie los. Den ganzen Tag hatte sie es vermieden, an die Begegnung mit Meikes Eltern zu denken, aber jetzt ließ sich die Erinnerung nicht länger unterdrücken.
Mit jedem Atemzug wurde die Enttäuschung größer. Nur eine gute Freundin. Es gibt niemanden. Immer wieder hallten die Wortfetzen in Franzis Kopf wider. Warum konnte Meike nicht endlich zu ihrer Liebe stehen? Franzi schlug förmlich auf das Wasser ein. Schon nach wenigen Metern begannen ihre Arme zu schmerzen.
Natürlich war das nicht einfach mit dem Outing. Das wusste Franzi ja selbst noch ganz genau. Welche Sorgen sie sich damals gemacht hatte, es ihren Eltern zu erzählen. Dabei waren ihre Eltern nicht einmal besonders konservativ, und mit Religion hatten sie auch wenig am Hut. Der gestrige Besuch von Johannes Jakobs dagegen hatte Franzi noch einmal deutlich gemacht, wie schwierig Meikes Vater war – und wie verständlich Meikes Angst vor seiner Reaktion. Meike schaffte es ja schon in weniger heiklen Belangen kaum, sich gegen ihn durchzusetzen. Wenn auf jemanden das Wort ›Patriarch‹ passte, dann auf Meikes Vater. Franzi zog die Stirn kraus.
Dazu kam noch, dass Franzi sich ziemlich früh für Frauen interessiert hatte. Es hatte keine Freunde und erst recht keine Ehemänner in ihrem Leben gegeben. Das war sicherlich ein entscheidender Vorteil. Franzis Mutter hatte schnell gewusst, was mit ihr los war. Es hatte keine großen Umwege gegeben, nichts, was die Umwelt irritiert hätte.
In letzter Sekunde sah Franzi den Beckenrand auf sich zukommen. Sie wendete und kraulte weiter.
Außerdem war sie als Apothekerin bei weitem nicht so abhängig von ihrem beruflichen Umfeld wie Meike. Es gab keine homophoben oder verunsicherten Schüler, die ihr das Leben schwermachen konnten. Keine Eltern, die Sorge hatten, ihre Sprösslinge seien bei einer lesbischen Lehrerin nicht gut aufgehoben. Mit wem Franzi zusammenlebte, interessierte an ihrem Arbeitsplatz niemanden.
Franzi schnappte nach Luft. Sie war heute nicht in Form; schon jetzt fühlte sie sich erschöpft. Mit Mühe kämpfte sie sich zur Treppe. Sie war weit hinter ihrem eigentlichen Pensum zurückgeblieben. Und den Kopf hatte sie auch nicht freibekommen . . .
Sie seufzte, kletterte aus dem Wasser und nahm ihre Schwimmbrille ab. Zurück an ihrem Platz ergriff sie ihr Handtuch und trocknete sich kurz das Gesicht ab. Dann schlüpfte sie in ihre Badelatschen, um sich auf den Weg in die Dusche zu machen.
Warum war Meike ausgerechnet Lehrerin? Das machte alles so schrecklich kompliziert.
In diesem Moment fiel ihr die Schwimmbrille auf den Boden. Doch noch ehe sie danach greifen konnte, hatte sich bereits die Bademeisterin gebückt und hob sie auf.
»Bitte schön.« Sie reichte Franzi die Brille. Für einen winzigen Augenblick streifte sie dabei Franzis
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