Klassentreffen
mit »klaren Aussagen« auswendig zu lernen und im richtigen Moment abzuspulen.
Das ist nicht mein Problem. / Tschüs, ich gehe! / Das ist mir ganz egal. / Ich will jetzt meine Ruhe haben. / Das kann ich nicht akzeptieren. / Mach’s doch selber. / Das kommt nicht infrage. / Dazu habe ich keine Lust. / Ich bin dagegen.
Ich suche nach einem passenden Satz, den ich zu Renée sagen kann, und komme zu dem Schluss, dass sie alle recht brauchbar sind. Also lerne ich sie auswendig, bis ich die Erkennungsmelodie von As the World Turns höre.
KAPITEL 8
»Habt ihr euch die Sache überlegt?«, fragt Renée am nächsten Tag, als wir alle im Büro sind.
Ich sage nichts und tippe gelassen weiter.
»Welche Sache?«, fragt Zinzy.
»Meinen Vorschlag, Geld für unnötig verbrauchtes Papier in das Sparschwein zu werfen«, sagt Renée.
»Ich bin dafür«, sagt Margot. »Das ist eine tolle Idee, Renée.«
Renées Blick wandert zu Zinzy und mir. »Sabine?«, fragt sie.
Ich sehe die Sätze aus dem Buch vor mir. Vor allem die Ich-Botschaften scheinen gut zu funktionieren. Sie klingen energisch und nötigen Respekt ab.
»Ich bin dagegen«, sage ich laut und deutlich.
Einen Moment lang ist es still.
»Wenn ich sehe, wie viele Fehler du in deinen Briefen machst, wundert mich das nicht, Sabine«, sagt Renée.
»Ich bin dagegen«, wiederhole ich. »Die Idee ist albern.«
Margot und Zinzy schweigen.
»Zinzy?«, sagt Renée fragend. »Bist du der gleichen Meinung?«
»Nun ja, ich weiß nicht … wenn du meinst, dass das nötig ist …«, sagt Zinzy zögerlich.
»Es ist wichtig, dass wir alle dahinter stehen!«, sagt Renée mit Nachdruck.
Auf einmal bin ich mir sicher, dass das Wouters Text ist. Mit Schwung drehe ich mich auf dem Bürostuhl zu Renée hin und schaue sie an.
»Hör mal, Renée«, sage ich. »Ich bin hier, um Geld zu verdienen, nicht um welches auszugeben, schon gar nicht, um damit den Freitagsumtrunk zu finanzieren. Außerdem bin ich der Meinung, dass wir uns nicht absichtlich vertippen. Wenn wir also vereinbaren, dass jede ihre Texte vor dem Ausdrucken gründlich Korrektur liest, scheint mir das mehr als genug zu sein.«
Alle sehen mich mit offenem Mund an. Eigentlich kann ich so was richtig gut!
»Manche machen aber mehr Fehler als andere«, sagt Renée kühl.
»Wenn es im Tarifvertrag steht, dann führen wir das ein, ansonsten nicht«, sagte ich ebenso kühl und wende ihr wieder den Rücken zu.
Renée schweigt mich den Rest des Vormittags tot, Margot und Zinzy gehen mir aus dem Weg. Die Spannung im Sekretariat ist mit Händen zu greifen, sodass jeder, der reinkommt, unwillkürlich die Stimme dämpft. Mein Eingangskorb füllt sich mit Entwürfen voller gelber Post-its mit Erklärungen. Ist eine persönliche Erklärung nötig, wendet man sich an Zinzy und Margot.
»Weißt du, was das Problem ist?« Zinzy steht mit mir am Süßigkeitenautomaten wie früher Jeanine. »Du wirkst kein bisschen so, als ob du wieder Lust zum Arbeiten hättest. Du sitzt den ganzen Vormittag mit miesepetrigem Gesicht am Schreibtisch. Das schreckt ab. Die Leute denken, du hast schlechte Laune und würdest lieber krankfeiern.«
»Wie kommen sie denn darauf?«, frage ich.
Zinzy scheint wirklich ziemlich nett zu sein. Sie ist klein und zierlich, hat glattes schwarzes Haar und große braune Augen. So würde ich selbst gern aussehen. Sie hat etwas
Zögerliches an sich; das lässt sie unsicher wirken, was sie aber absolut nicht ist. Das beweist sie immer wieder, indem sie Renée widerspricht. Zwar sehr vorsichtig, aber immerhin.
Und der größte Beweis dafür, dass sie selbstständig denkt, ist das gewagte Unternehmen, sich mit mir an den Süßigkeitenautomaten zu stellen und ein Mars zu essen.
Ihre Worte lassen mich so manches klarer sehen. So also nimmt man mich wahr. Nun, ich kann es den anderen nicht übel nehmen. Ich bin tatsächlich lustlos bei der Arbeit, aber das war auch schon mal anders.
»Findest du mich miesepetrig?«, frage ich.
»Jetzt nicht. Aber sobald Renée auftaucht, erstarrst du. Was hast du gegen sie?«
Ich zerknülle das Mars-Papierchen und werfe es in den Abfalleimer.
»Das wirst du schon noch selbst herausfinden«, sage ich.
Um halb eins gehe ich zum Lift. Da Essenszeit ist, dauert es lange, bis einer kommt. Ich könnte die Treppe nehmen, aber allein beim Gedanken an die vielen Stufen wird mir schwindlig. Lifte sind dazu da, um benutzt zu werden, also wäre es blöd, keinen Gebrauch
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