Klassentreffen
Asap!
Asap?, denke ich.
Ich grüble ein paar Minuten, zucke dann mit den Schultern und schiebe meinen Stuhl zurück, um Kaffee zu holen. Im Flur kommt mir Olaf entgegen.
»Das ging aber schnell!«, staune ich.
»Sag ich doch: asap«, meint Olaf.
»Wie bitte?«
»Kennst du das nicht? As soon as possible .«
»Ach so«, sage ich. »Ich dachte schon, das ist so eine Reparatursoftware.«
Olaf lacht los. »Du meinst die Softwarefirma SAP.«
Wir lachen beide und sehen uns an.
»Also, was ist mit deinem Computer?«, sagt Olaf, als ich gleichzeitig anfange: »So ein Zufall, dass du gerade …« Ich breche ab, aber Olaf macht mir ein Zeichen, weiterzureden.
»Ja? Was wolltest du sagen?«, fragt er. »Was ist Zufall?«
»Na ja, dass du gerade gemailt hast, als mir auffiel, dass mein PC langsamer ist als sonst«, sage ich und gehe weiter zum Kaffeeautomaten. Olaf folgt mir und lehnt sich an die Spüle daneben.
»Ich bin schließlich nicht umsonst EDV-Spezialist. So was spüre ich«, sagt er.
»Kaffee?«, frage ich.
»Gern. Schwarz bitte.«
Ich stelle einen Plastikbecher in den Automaten und drücke auf den entsprechenden Knopf. Keiner von uns macht Anstalten, ins Sekretariat zurückzugehen.
Olaf nimmt seinen Becher aus dem Automaten und stellt für mich einen neuen hinein. »Was machst du heute Nachmittag?«, fragt er und lacht mich an.
»Ich fahre nach Den Helder.« Vorsichtig nehme ich den heißen Kaffeebecher und puste hinein.
Interessiert mustert er mich. »Nach Den Helder? Was willst du denn dort?«
Ich zucke lächelnd mit den Schultern und sage nichts.
»Wohnen deine Eltern noch dort?«, fragt Olaf.
»Nein, die sind vor fünf Jahren nach Spanien gezogen.«
»Stimmt, das hast du ja gestern schon gesagt. Spanien – nicht das Schlechteste.«
»Je nachdem, wie man’s sieht. Robin in London, meine Eltern in Spanien …« Mit finsterer Miene nehme ich einen Schluck Kaffee.
»Ach, du Arme, da bist du also ganz allein zurückgeblieben?« Olaf legt mir spontan den Arm um die Schultern und lässt ihn dort. Urplötzlich ist das Unbehagen wieder da. Sein Arm fühlt sich bleischwer an. Ihn jetzt abzuschütteln, wäre irgendwie albern, aber trotzdem ist das mein erster Impuls. Dass er meinen Arm streichelt, zärtlich und tröstend, suggeriert eine Beziehung, die nicht vorhanden ist. Noch nicht. Es kann auch der Auftakt zu etwas ganz und gar Unvorstellbarem sein. Hat Olaf etwa Interesse an mir?
»Ich muss wieder an die Arbeit«, sage ich mit einem entschuldigenden Lächeln.
»Dein PC ist doch so langsam, oder?«, fragt er.
»Nicht langsamer als ich, also passt’s«, sage ich. Ich lächle wieder und gehe rasch ins Sekretariat.
Den restlichen Vormittag bin ich in Gedanken ständig bei Olaf. Jedes Mal, wenn jemand reinkommt, blicke ich hoch und glaube, seine Stimme zu hören. Alle zehn Minuten klicke ich Outlook an, um nachzuschauen, ob er gemailt hat. Aber das ist nicht der Fall. Das war’s also für heute, und sogleich vertreibt meine Unsicherheit das hoffnungsvolle Kribbeln im Bauch.
Es ist lange her, dass ich mich so gefühlt habe. Zum ersten Mal habe ich mich auf einem Schulfest verliebt, in Bart, und sein Interesse an mir wunderte mich damals genauso wie jetzt Olafs. Dass ich keine weiteren Beziehungen hatte, lag an mir, denn um welche zu knüpfen, braucht man Mut, Mut und Selbstvertrauen, etwas, an dem es mir immer gefehlt hat.
Renée kommt ins Sekretariat, und ich mache mich hastig an die Arbeit. Sie wirft mir einen kühlen Blick zu, setzt sich an ihren Schreibtisch und guckt dann alle paar Minuten zu mir herüber, um zu kontrollieren, ob ich auch arbeite. Total erleichtert nehme ich um halb eins meine Tasche und verlasse grußlos das Büro.
Am Nachmittag liege ich auf dem Sofa und zappe durch die Sender, während ich auf As the World Turns warte. Die Sonne scheint unbarmherzig ins Zimmer – ich sehe den Staub auf sämtlichen Möbeln und Dekogegenständen.
Eigentlich wollte ich putzen, kann mich aber nicht dazu aufraffen. Selbst das Teekochen ist mir zu anstrengend, obwohl ich gern einen trinken würde.
Lustlos angle ich mit den Füßen ein Buch vom Couchtisch. Eine streitbare Frau, die Hände in die Hüften gestemmt, ziert den Umschlag. Die selbstsichere Frau steht in provozierenden roten Lettern darüber.
Das Buch habe ich neulich in der Bibliothek ausgeliehen. Es enthält jede Menge psychologischer Erkenntnisse und nützlicher Problemlösungstipps. Man braucht nur eine Liste von Sätzen
Weitere Kostenlose Bücher