Klassenziel (German Edition)
Optionen?
Ich war in einem Dixiklo eingesperrt, dessen Gestank mir fast das Gehirn vernebelte. Es war so dunkel, dass ich meine eigenen Schuhe nicht mehr sehen konnte. Ich war kilometerweit von jedem menschlichen Wesen entfernt. Ich hatte kein Handy mehr. Hat da irgendjemand eine Option gesehen?
Man kann mir ja einiges vorwerfen, aber Pessimismus gehört bestimmt nicht dazu. Und deshalb machte ich auch aus dieser Lage das Beste, jedenfalls zunächst mal. Das Gute daran, nachts in einem Plumpsklo am Arsch der Welt eingesperrt zu sein, ist, dass man jederzeit pissen kann. Ich hatte schon die ganze Zeit so einen Druck auf der Blase, nicht zuletzt auch vor Angst, und den konnte ich jetzt endlich ablassen. Ein Problem weniger. Immerhin.
Als Nächstes versuchte ich die Tür zu öffnen. Ich machte mir keine Hoffnungen, dass das einfach sein würde. Schließlich hatte ich gehört, wie Dominik daran rumgefummelt hatte. In diese beiden Ringe, die bei manchen Dixiklos durch ein Vorhängeschloss miteinander verbunden sind, hatte er was reingeschoben, vielleicht einen Stock. Und dann hatte er noch irgendwas vor die Tür gelegt, um sie zu blockieren. Trotzdem musste ich sie aufkriegen, also warf ich mich immer wieder mit der Schulter dagegen.
Man kann jetzt nicht sagen, dass das gar nichts brachte: Ich kriegte immerhin jede Menge blaue Flecken. Auf die Tür machte das allerdings weniger Eindruck. Ich setzte mich auf den vorderen Rand der Klobrille und trat aus dieser Position mit beiden Füßen gegen die verdammte Tür. Und zwar gefühlte zwei Stunden lang.
Zwischendurch gönnte ich mir ab und zu eine Pause und lauschte. Vielleicht gab es ja doch so was wie menschliches Leben hier in der Nähe, und irgendwer wurde auf den Krach aufmerksam? Aber es blieb unverändert so still wie in einer Gruft. Und nein, dieser Vergleich ist nicht zufällig gewählt.
Wenn ich lange genug meinem eigenen Atem und meinem hammerartigen Herzklopfen zugehört hatte, fing ich wieder an, auf die Tür einzutreten. So feste, dass das ganze Häuschen bebte. Hoffentlich kippte es nicht um.
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74
V iel ist nicht übrig geblieben von unserem Mittagessen. Wir packen die Reste zusammen, werfen Plastikbecher, Alufolie und leere Cupcake-Förmchen in den Mülleimer und machen uns auf den Rückweg zur Schule. «Wenn du willst, kannst du ja morgen auch was mitbringen», sagt Becky. Mit anderen Worten: Ich darf wieder dabei sein. «Das mach ich», sage ich. «Das mach ich auf jeden Fall.» Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, was ich zu unserem Picknick beitragen kann – Kochen und Backen sind nicht gerade meine Stärken.
Die nächsten beiden Stunden haben wir Kunst. Auch dafür gibt es einen eigenen Raum, und weil wir gemeinsam eintreffen und die Vierte im Kleeblatt heute krank ist, setze ich mich zu Kenji, Luna und Becky an einen Tisch. Unsere Aufgabe besteht darin, eine Collage zum Thema «Leistung» zu basteln. Ich blättere mich durch einen dicken Stapel Zeitschriften und schneide alles aus, was mir dazu auffällt. Die Arbeit macht mir Spaß. Außerdem hab ich nette Gesellschaft. Luna, Becky, Kenji und ich zeigen uns gegenseitig die bescheuertsten Fotos und geben alberne Kommentare dazu.
I ch wusste nicht, wie spät es inzwischen war. Ich hatte keine Armbanduhr, weil ich immer auf mein Handy guckte, wenn ich die Zeit wissen wollte. Jedenfalls war es schon ganz leicht dämmerig geworden, als die Tür an einer Seite ein bisschen nachgab. Nicht so, dass ich sie hätte aufmachen können, aber ich hatte wohl irgendeinen Widerstand überwunden, und wenn ich jetzt mit voller Kraft dagegentrat, bildete sich ein schmaler Spalt. Nach weiteren fünfhundert Tritten oder so gab es ein krachendes Geräusch. Ich hatte das Schloss aufgesprengt. Jetzt musste ich bloß noch das Schwere wegdrücken, das die Tür blockierte. Im oberen Bereich konnte ich sie schon mehrere Zentimeter nach außen drücken.
Mir taten die Beine weh. Und die Bauchmuskeln. Und die Schultern. Und der Hintern. Und die Nase. Und wahrscheinlich noch eine Menge andere Stellen. Müde war ich auch. Zwar nicht so in dem Sinne, dass mir die Augen zufielen, weil ich dafür ja viel zu beschäftigt mit Treten war, aber es war so eine totale Erschöpfung, die sich fast noch schlimmer anfühlte.
Meine Tritte wurden auch zunehmend schlapper. Statt Muskeln hatte ich nur noch Pudding in den Oberschenkeln. Ich musste immer mehr Pausen einlegen, und die dauerten immer länger. Aller
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