Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
Vom Netzwerk:
Toshi geht auch Moritz nicht mehr zur Schule. Er macht eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker und erzählt von den ganzen Bands und Künstlern, die er dabei schon kennengelernt hat. Manchmal kann er auch Freikarten besorgen, sagt er. Das einzige Problem an seinem Job sind die Arbeitszeiten: fast immer abends und schwerpunktmäßig am Wochenende.
    Die Proben der Cosmic Shocks richten sich deswegen in erster Linie nach seinem Zeitplan. Irgendwie ist er ja auch so was wie der Boss: Er hat die Band vor einem Jahr gegründet, ihm gehört der Probenraum, er hat Ahnung von allem, was mit dem Musikbusiness zu tun hat, und er ist der Älteste von uns. Aber das lässt er nicht raushängen.
    Ich frage, wie die vier Shocks sich überhaupt kennengelernt haben. Dass Kenji und Toshi Cousins sind, weiß ich ja bereits. Sie hätten sich schon als Kinder gut verstanden und oft miteinander gespielt, erzählt Kenji.
    «Aber ihr seid doch so total verschieden», sage ich verwundert.
    «Na, deshalb ja», erwidert Kenji. «Ich musste immer alles regeln, und Toshi ist mir hinterhergedackelt.»
    Toshi ist nicht nur ein ausgezeichneter Keyboarder, sondern auch ein genialer Tontechniker. Er hat schon für richtig große Elektrobands gearbeitet. So hat er Moritz kennengelernt, und die beiden kamen auf die Idee, eine eigene Band zu gründen. Toshi wusste ja, dass Kenji am Bass durch nichts zu übertreffen war, da spielte auch der Altersunterschied keine große Rolle. Und Charlie, mein Vorgänger an der Gitarre, war ein ehemaliger Schulfreund von Moritz, aber anscheinend hat die Chemie von Anfang an nicht so ganz gestimmt.
    «Ganz ehrlich», gesteht Moritz, «ich wollte nicht noch einen Fünfzehnjährigen in der Band haben. Ich meine, Kenji ist supercool, dem merkt man sein Alter echt nicht an. Aber als der mir erzählt hat, er hätte da einen Gitarristen in seiner Klasse … also, zuerst war ich echt total skeptisch. Das soll ja eine Band sein und kein Kinderhort.» Er setzt die Bierflasche an und nimmt einen langen Schluck. «Aber ich glaub, du bist ganz okay!»
    «Danke», sage ich. «Ich werd auch bald sechzehn, versprochen.»

    A n meinem neuen Handy hatte ich nicht viel Freude. Anrufen konnte ich damit keinen mehr – na ja, außer meine Eltern oder Oma. Abendliche Telefonkonferenzen mit Till und Ramon, bei denen wir gemeinsam Matheaufgaben knackten, gehörten für immer der Vergangenheit an. Ich konnte mir auch keine Musikdateien auf meine 32 Gigabyte Speicherplatz laden, weil mein PC nach wie vor von der Polizei beschlagnahmt war. Keine Ahnung, ob ich den jemals wiederkriegen würde. Mit der Kamera hatte ich bisher nur Gräber fotografiert. Und um zum Friedhof nach Dülken zu fahren, brauchte ich kein Navi.
    Ich ließ Monika Gerritzen regelmäßig im Allgemeinen Krankenhaus anrufen und nach Ramon fragen. Aber die Antwort blieb immer dieselbe: Er lag im künstlichen Koma. Ich traute mich nicht, seine Eltern anzurufen. Auch nicht die von Till. Und schon gar nicht die von Melody, die ich ja kaum gekannt hatte. Keine Ahnung, vielleicht hätte ich das machen sollen, vielleicht wäre das anständig gewesen. Aber ich hatte zu viel Angst, dass sie ausklinkten und mich beschimpften oder so. Und überhaupt – was hätte ich auch sagen sollen? «Tut mir leid, aber ich hab von nichts gewusst»?
    Ich ging auch nicht zu der Gedenkfeier in der Schule, obwohl ich eine schriftliche Einladung im Briefkasten hatte. Genau genommen sogar zwei. Eine an Benjamin van Arcen und eine an Dominik van Arcen. Wahrscheinlich hatten sie die anderen Toten auch noch nicht aus der Adressendatei gelöscht.
    Ich lief bloß ein paarmal an der Schule vorbei, auf der anderen Straßenseite, und da waren Unmengen Kerzen, Blumen, Plüschtiere, Holzkreuze, Bilder und handgeschriebene Gedichte vor dem Eingang abgelegt worden. Am Zaun hingen kleine, kindliche Plakate, auf denen «Warum?» oder «Ihr fehlt uns so» stand. Der Anblick reichte aus, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich war fest entschlossen, dieses Schulgebäude nie mehr zu betreten.

[zur Inhaltsübersicht]
    100
    K urz vor eins stehen wir oben auf dem Kaiserdamm, der auch um diese Zeit noch stark befahren und strahlend hell erleuchtet ist. Es sieht aus, als würde er genau auf die Siegessäule mit ihrer schimmernden Goldfigur zuführen. Ein Stück links davon ragt der Fernsehturm in den Nachthimmel und blinkt irgendeinen Geheimcode. Wow, das ist Großstadt! Eine Zeitlang starre ich fasziniert auf das

Weitere Kostenlose Bücher