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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Nettchen ihrerseits mit seltsamem Tone, in glei-
    cher Weise etwas blaß geworden, „was sehen Sie mich so an?“
    Wenzel aber streckte den Arm aus, zeigte mit dem Finger
    auf sie, wie wenn er einen Geist sähe, und rief:
    „Dieses habe ich auch schon erblickt. Wenn jenes Kind zor-
    nig war, so hoben sich ganz so, wie jetzt bei Ihnen, die schönen
    Haare um Stirne und Schläfe ein wenig aufwärts, daß man sie
    sich bewegen sah, und so war es auch zuletzt auf dem Felde in
    jenem Abendglanze.“
    In der Tat hatten sich die zunächst den Schläfen und über
    der Stirne liegenden Locken Nettchens leise bewegt wie von
    einem ins Gesicht wehenden Lufthauche.
    Die allezeit etwas kokette Mutter Natur hatte hier eines
    ihrer Geheimnisse angewendet, um den schwierigen Handel
    zu Ende zu führen.
    Nach kurzem Schweigen, indem ihre Brust sich zu heben
    begann, stand Nettchen auf, ging um den Tisch herum dem
    Manne entgegen und fiel ihm um den Hals mit den Worten:
    „Ich will dich nicht verlassen! Du bist mein, und ich will mit
    dir gehen trotz aller Welt!“
    So feierte sie erst jetzt ihre rechte Verlobung aus tief ent-
    schlossener Seele, indem sie in süßer Leidenschaft ein Schick-
    sal auf sich nahm und Treue hielt.
    Doch war sie keineswegs so blöde, dieses Schicksal nicht
    selbst ein wenig lenken zu wollen; vielmehr faßte sie rasch und
    keck neue Entschlüsse. Denn sie sagte zu dem guten Wenzel,
    der in dem abermaligen Glückeswechsel verloren träumte:
    „Nun wollen wir gerade nach Seldwyl gehen und den Dor-
    tigen, die uns zu zerstören gedachten, zeigen, daß sie uns erst
    recht vereinigt und glücklich gemacht haben!“
    Dem wackern Wenzel wollte das nicht einleuchten. Er
    wünschte vielmehr, in unbekannte Weiten zu ziehen und ge-
    heimnisvoll romantisch dort zu leben in stillem Glücke, wie
    er sagte.
    Allein Nettchen rief: „Keine Romane mehr! Wie du bist,
    ein armer Wandersmann, will ich mich zu dir bekennen und
    in meiner Heimat allen diesen Stolzen und Spöttern zum
    Trotze dein Weib sein! Wir wollen nach Seldwyla gehen und
    dort durch Tätigkeit und Klugheit die Menschen, die uns ver-
    höhnt haben, von uns abhängig machen!“
    Und wie gesagt, so getan! Nachdem die Bäuerin herbei-
    gerufen und von Wenzel, der anfing, seine neue Stellung ein-
    zunehmen, beschenkt worden war, fuhren sie ihres Weges
    weiter. Wenzel führte jetzt die Zügel, Nettchen lehnte sich so
    zufrieden an ihn, als ob er eine Kirchensäule wäre. Denn des
    Menschen Wille ist sein Himmelreich, und Nettchen war just
    vor drei Tagen volljährig geworden und konnte dem ihrigen
    folgen.
    In Seldwyla hielten sie vor dem Gasthause zum Regenbo-
    gen, wo noch eine Zahl jener Schlittenfahrer beim Glase saß.
    Als das Paar im Wirtssaale erschien, lief wie ein Feuer die
    Rede herum: „Ha, da haben wir eine Entführung! wir haben
    eine köstliche Geschichte eingeleitet!“
    Doch ging Wenzel ohne Umsehen hindurch mit seiner
    Braut, und nachdem sie in ihren Gemächern verschwunden
    war, begab er sich in den Wilden Mann, ein anderes gutes
    Gasthaus, und schritt stolz durch die dort ebenfalls noch hau-
    senden Seldwyler hindurch in ein Zimmer, das er begehrte,
    und überließ sie ihren erstaunten Beratungen, über welchen sie
    sich das grimmigste Kopfweh anzutrinken genötigt waren.
    Auch in der Stadt Goldach lief um die gleiche Zeit schon
    das Wort „Entführung!“ herum. In aller Frühe schon fuhr
    auch der Teich Bethesda nach Seldwyla, von dem aufgeregten
    Böhni und Nettchens betroffenem Vater bestiegen. Fast wären
    sie in ihrer Eile ohne Anhalt durch Seldwyla gefahren, als sie
    noch rechtzeitig den Schlitten Fortuna wohlbehalten vor dem
    Gasthause stehen sahen und zu ihrem Troste vermuteten, daß
    wenigstens die schönen Pferde auch nicht weit sein würden.
    Sie ließen daher ausspannen, als sich die Vermutung bestä-
    tigte und sie die Ankunft und den Aufenthalt Nettchens ver-
    nahmen, und gingen gleichfalls in den Regenbogen hinein.
    Es dauerte jedoch eine kleine Weile, bis Nettchen den Vater
    bitten ließ, sie auf ihrem Zimmer zu besuchen und dort allein
    mit ihr zu sprechen. Auch sagte man, sie habe bereits den be-
    sten Rechtsanwalt der Stadt rufen lassen, welcher im Laufe des
    Vormittags erscheinen werde. Der Amtsrat ging etwas schwe-
    ren Herzens zu seiner Tochter hinauf, überlegend, auf welche
    Weise er das desperate Kind am besten aus der Verirrung zu-
    rückführe, und war auf ein verzweifeltes Gebaren gefaßt.
    Allein mit Ruhe und

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