Kleine Einblicke
vorstellen kann, dass Mikael Angst hat. Seit wir in Australien wieder zusammengefunden haben, sind wir glücklich. Wovor sollte er Angst haben?
„Connor hatte Angst, unbeabsichtigt etwas falsch zu machen. Für mich war Sex lange Zeit kein Thema, aber als es wieder zu einem wurde, wurde er nervös. Er wusste, was passiert war. Im Groben. Es ist aber nicht dasselbe etwas im Groben zu wissen, als die Details zu kennen. Er fürchtete sich insgeheim davor, mich zufällig und ohne jede Absicht in der Form zu berühren, wie meine Peiniger es getan hatten. Er hatte Angst, irgendwann durch eine harmlose Geste alles wieder hervorzuholen. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht und hätte es wohl auch nie getan, wenn er mir nicht irgendwann die Wahrheit gebeichtet hätte. Ich weiß, dass du mit Sex kein Problem hast, aber es könnte zu einem werden.“
„Ich kann ihm das nicht erzählen“, wehre ich ab und denke dabei an Mikael. Er würde zuhören. Er hört immer zu. Aber ich kann doch nicht... Er würde alles wissen. Alles. Oh Gott.
Daniel lehnt sich auf dem Stuhl zurück. „Wenn du es nicht direkt in Worte fassen kannst, schreib' es auf. Auch wenn es erst mal nur für dich ist, wäre das ein Anfang. Egal, wie gut es dir geht und wie glücklich du bist, dieses Erlebnis wird solange zwischen euch stehen, wie du Mikael nicht daran teilhaben lässt. Glaub' mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich will dich nicht zu etwas drängen, Colin, die Entscheidung musst du ganz allein treffen, aber wenn du jemals den Wunsch hast, darüber zu reden, ruf' mich an. Jederzeit. Adrian hat meine Nummer.“
„Du gehst?“, frage ich verblüfft, als Daniel nach seinen Worten aufsteht. Er nickt und lächelt mir zu. „Warum?“
„Weil du noch nicht soweit bist und das wissen wir beide.“
Daniel hat Recht, auch wenn ich es freiwillig nie zugeben würde. Seine Anwesenheit ist... Ich kann es nicht genau beschreiben. Er möchte nur helfen und ich glaube ihm auch, dass er es Ernst meint, aber ich bin einfach noch nicht bereit dazu. Zumindest nicht bei ihm, auch wenn ich weiß, dass Daniel als ehemaliges Opfer wohl die beste Wahl wäre, um darüber zu reden. Vielleicht eines Tages, aber nicht heute.
„Schwäche zu zeigen, ist kein Verbrechen, Colin.“
Verflixt und zugenäht. Woher weiß er das immer? Dieser verdammte Anwalt liest keine Gedanken, da bin ich mir sicher, aber wie macht er das? Steht mir auf der Stirn geschrieben, was mit mir los ist? Oder ist er wirklich so gut, wenn es darum geht, Menschen zu sehen und einzuschätzen, was ihnen im Kopf herumgeht?
„Ich werde nicht mit dir darüber reden“, wiegle ich ab und werde dafür angegrinst. Na danke sehr. „Hör' auf damit!“
„Warum?“, fragt Adrian und steht auf, um an die große Glasfront zu treten, die eine gesamte Wand des Wohnzimmers einnimmt und die dafür gesorgt hat, dass ich nach unserem Eintreffen erst mal zehn Minuten davorstand und auf Baltimore hinunter gestarrt habe.
Es gibt mit Sicherheit Menschen, die für so einen Ausblick töten würden und ehrlich gesagt, ich könnte sie sogar verstehen. Nicht, dass ich Mord gutheiße, aber dieser Blick auf die Stadt ist so was von grandios, dafür gibt es keine Worte. Ich muss unbedingt Kilian mal herbringen. Diese Aussicht wäre perfekt für ein Bild geeignet, schätze ich. Mikael würde sie bestimmt auch gefallen. Man könnte so Einiges vor dieser riesigen Glasfront anstellen. Natürlich nur nachts. Wenn niemand zusieht. Ich werde rot und Adrian lacht.
„Sag' jetzt nichts“, murmle ich verlegen, was mit einem Zwinkern kommentiert wird, das mich seufzen lässt, bevor ich ebenfalls von der Couch aufstehe und zu ihm trete. Adrians Blick ist eindeutig. „Du und David?“
„Oh ja“, antwortet er und grinst süffisant.
Mehr will ich wirklich nicht wissen. Na gut, das will ich schon, aber ich werde den Teufel tun und danach fragen. Adrians Sexleben geht mich nun wirklich nichts an. Ich habe ein eigenes und das ist nicht übel. Im Gegenteil. Aber was, wenn Daniel Recht hat? Wenn es früher oder später übel wird?
Scheiße, ich drehe mich gedanklich völlig im Kreis. Schon seit Stunden. Seit wir aus diesem Café weg und spazieren gegangen sind. Ich wollte nicht reingehen und Adrian ist mit mir eine Weile durch die Straßen gelaufen. Dann waren mir die Menschen plötzlich zuviel und wir sind in einen Park gewechselt. Adrian hat kein Wort gesagt oder nachgefragt, was Daniel und ich miteinander besprochen haben. Er war
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