Kleine Freie Männer
sich in
einer seltsamen Welt mit Ungeheuern, und hunderte von
kleinen blauen Dieben folgten ihr. Und … schwarze
Hunde. Und kopflose Reiter. Ungeheuer im Fluss. Schafe, die rückwärts über die Wiese sausten. Stimmen unterm
Bett …
Plötzlich gab es nur noch Entsetzen. Aber da sie Tiffany war, lief sie darauf zu und hob die Pfanne. Sie musste den Wald hinter sich bringen, die Königin finden, ihren Bruder holen und diese Welt verlassen!
Irgendwo hinter ihr erklangen Stimmen …
Sie erwachte.
208
Sie sah keinen Schnee, sondern das Weiß des Bettlakens und der Tünche an der Decke ihres Schlafzimmers. Tiffany betrachtete sie eine Zeit lang, beugte sich dann zur Seite und sah unters Bett.
Dort stand nur der Nachttopf. Als sie die Tür des
Puppenhauses öffnete, entdeckte sie im Innern nur die
beiden Spielzeugsoldaten, den Teddybär und die kopflose Puppe.
Die Wände waren fest. Der Boden knarrte dort, wo er
immer geknarrt hatte. Die Pantoffeln fühlten sich an wie immer, alt und bequem, und sie boten auch den gleichen Anblick – der rote Flaum war längst abgetragen.
In der Mitte des Zimmers blieb Tiffany stehen und fragte ganz leise: »Ist jemand da?«
Draußen mähten Schafe, aber sie hatten sie vermutlich
nicht gehört.
Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen, und der
Kater Rattenbeutel kam herein. Er rieb sich an ihren
Beinen, schnurrte wie ein fernes Gewitter und legte sich dann aufs Bett.
Tiffany zog sich nachdenklich an und hielt dabei im
Zimmer immer wieder nach Ungewöhnlichem Ausschau.
Als sie nach unten ging, wurde das Frühstück vorbe-
reitet. Ihre Mutter stand an der Spüle.
Tiffany huschte durch die Spülküche nach draußen und
in die Molkerei. Auf Händen und Knien kroch sie umher, blickte unters Spülbecken und hinter Geschirrschränke.
»Ihr könnt euch jetzt zeigen, wirklich«, sagte sie.
209
Niemand zeigte sich. Sie war allein im Raum. Sie war
oft allein in dem Raum gewesen und hatte es genossen. Er war fast ihr privates Territorium. Aber jetzt erschien er ihr zu leer, zu sauber …
Als Tiffany in die Küche zurückkehrte, stand ihre Mutter noch immer an der Spüle und spülte Geschirr, aber ein
Teller mit Haferbrei dampfte auf dem Tisch.
»Ich mache heute noch mehr Butter«, sagte sie und
setzte sich. »Wir sollten die Gelegenheit nutzen, solange wir so viel Milch haben.«
Ihre Mutter nickte und legte einen Teller auf den Ablauf neben der Spüle.
»Ich habe doch nichts falsch gemacht, oder?«, fragte
Tiffany.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
Tiffany seufzte. »Und dann erwachte sie, und es war
alles nur ein Traum.« Es gab kein schlechteres Ende für eine Geschichte. Aber es hatte alles so echt gewirkt. Sie erinnerte sich an den rauchigen Geruch in der Koboldhöhle und an … wie hieß er noch? Oh, ja, Rob Irgendwer … Sie erinnerte sich an Rob Irgendwers Nervosität, wenn er mit ihr sprach.
Es war seltsam, dass sich Rattenbeutel an ihren Beinen gerieben hatte. Er schlief auf dem Bett, wenn man ihn nicht verscheuchte, aber tagsüber hielt er sich von Tiffany fern.
Wie sonderbar …
Es klapperte beim Kaminsims – die Porzellanschäferin
auf Omas Regal rutschte von ganz allein zur Seite. Mit dem Löffel auf halbem Wege zum Mund beobachtete
210
Tiffany, wie die Figur fiel und auf dem Boden zerbrach.
Das Klappern dauerte an und kam jetzt vom großen
Backofen. Sie sah, wie sich die Tür aus den Angeln löste.
Tiffany drehte den Kopf und blickte zu ihrer Mutter, die einen weiteren Teller auf den Ablauf neben der Spüle legte.
Aber er wurde nicht von einer Hand gehalten …
Die Klappe des Backofens fiel und kratzte über den
Boden.
»Iss den Brei nicht!«
Plötzlich wimmelte es von Kobolden. Hunderte Größte
liefen über die Fliesen.
Die Wände gerieten in Bewegung, und auch der Boden.
Und das Etwas, das sich an der Spüle umdrehte, wirkte
nicht mehr menschlich, sondern war nur noch ein …
Etwas, nicht menschlicher als ein Pfefferkuchenmann, grau wie alter Teig. Und es veränderte seine Gestalt, als es Tiffany entgegenwankte.
Die Kobolde sausten an ihr vorbei, von Schnee begleitet.
Sie sah auf, blickte in die winzigen schwarzen Augen
des Wesens.
Der Schrei kam tief aus ihr. In diesem Moment gab es
keine Zweiten Gedanken, nicht einmal Erste Gedanken,
nur den Schrei. Er schien sich auszubreiten, als er Tiffanys Mund verließ, bis er vor ihr zu einem schwarzen Tunnel wurde. Als sie hineinfiel, hörte sie im Lärm hinter
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