Kleine Luegen erhalten die Liebe

gehalten, wenn jemand sagte: »… und dann sah ich, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich.« Aber jetzt denkt er, dass Karen genau das sagen wird, wenn sie ihren Freunden diese Geschichte erzählt, weil es sich tatsächlich ganz genauso für ihn anfühlt.
    »Die Salsa-Stunden, das Tanzen-Lernen, all das gehörte zu Livs Liste, nicht? Es steht doch auf Livs Liste, nicht?«
    Frasers Schweigen ist beredt genug.
    »Also heraus mit der Sprache! Was steht sonst noch auf der Liste? Auch unsere Beziehung? Gehörte mit einer Barfrau ausgehen ebenfalls dazu?« Ihre Augen sind feucht vor Tränen. Fraser streicht sich über das Gesicht.
    »Nein. Gott, nein, Karen! Keineswegs. Das hast du missverstanden.«
    »Habe ich das? Was steht sonst noch auf der Liste?«, wiederholte sie. » Eine Frau in den Vierzigern flachlegen ? Beruhte unsere ganze Beziehung nur auf einer Wette, Fraser?«
    »Nein, natürlich nicht … Warum zum Geier sollte Liv so etwas auf ihrer Liste haben!«
    »Falls es aber doch so ist und du es mir nicht sagst, werde ich verdammt wütend sein, Fraser, und dir nie verzeihen.«
    Fraser hat Karen noch niemals so gesehen. Es ist regelrecht beängstigend.
    Er sucht ihren Blick und sagt dann sehr leise und sehr schnell: »Eine römische Jalousie anzufertigen war meine Aufgabe.« Doch die Worte sind kaum heraus, als Karen auch schon aufspringt,ihn mit ihrer Limonade überschüttet und hinausgeht, ohne sich noch einmal umzublicken.
    Und da sitzt er, wie vom Donner gerührt, und die Limonade tropft aus seinem Haar.
    »Oh, oh, Probleme, Kumpel?«, fragt der Mann am Nebentisch, der aufgehört hat, seine Freundin zu küssen.
    Und Fraser muss seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um ihm keine reinzuhauen.

KAPITEL SIEBZEHN
September,
Lancaster und die Englische Seenplatte
    »Was ist, Norm? Ich kann dich nicht verstehen, Mann.«
    »Ich sagte … ich … Fraser? «
    Norm klingt jetzt regelrecht verzweifelt, und Fraser schlägt fluchend mit der Faust aufs Lenkrad, als es schon wieder in der Leitung knistert.
    »Ich bin noch dran, Norm …« Vergeblich hantiert er an der Lautstärke der Freisprechanlage herum und versucht gleichzeitig, die Straße im Auge zu behalten. »Antworte, wenn du mich noch hören kannst! Norm? – Mist, verdammter!«, schreit er plötzlich und reißt das Steuer herum, als ein Sportwagen ihn beim Überholen gefährlich schneidet und Fraser es, ungeachtet des Hupkonzerts um sich herum, gerade noch schafft, mit einem heftigen Schlenker auf die Kriechspur zu gelangen.
    Zum Glück ist sie leer, und Fraser fährt eine ganze Weile im Schneckentempo weiter, bevor er merkt, dass sein Tacho nur noch vierzig Stundenkilometer anzeigt, er das Steuer so fest umklammert hält, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten, und der Fahrer eines Wagens mit Campinganhänger hinter ihm wie wild die Lichthupe betätigt.
    Irgendwann hat er sich genug beruhigt, um wieder auf die mittlere Fahrspur zu wechseln, und denkt, wie paradox und tragisch es doch wäre, wenn noch jemand von ihnen bei dem Versuch, die Liste abzuarbeiten, ums Leben käme. Ohnehin erscheint ihm die Liste mehr und mehr verflucht. Ehrlich gesagt, hasst Fraser Autofahren, besonders auf der Autobahn.Das ist auf seine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen zurückzuführen, in der das Familienauto stets eine Schrottlaube ohne TÜV-Zulassung war, und auf die damit zusammenhängende Beschämung. Besonders ein Erlebnis ist Fraser bis heute noch lebhaft in Erinnerung geblieben: als sein Dad ihn und ein paar Freunde einmal aus dem Pfadfinderlager in den Apenninischen Alpen abholte und ihr alter Peugeot auf der Standspur den Geist aufgab.
    Er wäre froh, wenn er nie wieder fahren müsste, doch heute hat er sich für seinen besten Freund ans Steuer gesetzt. Erfüllt von Pflichtgefühl, beschleunigt er auf einhundertzwanzig Stundenkilometer und schafft es sogar, ruhiger zu atmen. Nach der fürchterlichen Heimfahrt von Billys Geburtstag hätte er die M6 nach Norden am liebsten nie wiedergesehen, aber vor einer Stunde rief Norm aus dem Lake Distrikt an, wo er und Melody ihr »heißes« Wochenende mit Pornodreh hatten verbringen wollen. Doch offenbar verlief dort oben nichts nach Plan. Nach einem Riesenkrach war Melody in die walisische Nacht hinausgestürmt.
    Norm hatte sich verwirrt, verstört und auch schon nicht mehr ganz nüchtern angehört:
    »Sie könnte Gott weiß wo sein, Frase. Ich habe keine Ahnung, wo sie steckt. Sie könnte ertrunken auf dem Grund des