Kleine Luegen erhalten die Liebe
dramatisch – du weißt ja selbst, wie Norm oft ist.«
Mia lächelt und widersteht dem Bedürfnis, Vergleiche zu ziehen. »Melody ist bestimmt in der Hotelbar, und er ist direkt an ihr vorbeigegangen«, sagt sie.
»Der Gedanke kam mir auch schon. Das Problem ist, dass ich keine Verbindung kriegen kann. Ich hoffe, dass es weiter oben im Norden leichter sein wird.«
»Und wo bist du jetzt?«
»In Galgate, nur etwa eine Viertelstunde von dir entfernt.«
Eine ziemlich lange Pause entsteht, in der Mia im Küchenfenster ihr Spiegelbild betrachtet – das blasse Gesicht einer müden, ausgelaugten Mutter.
»Oh, gut, dann wirst du ja etwa in einer Stunde dort sein …«
»Eigentlich wollte ich …«
»Mia! Kannst du bitte mal kommen? Ich möchte dir etwas zeigen.« Mia geht in die Diele und reckt den Hals, um zu sehen, was im Bad vorgeht.
»Was wolltest du, Fraser?«
»MIA – KOMM SOFORT HIERHER!«
»WIE UNHÖFLICH DU BIST, EDUARDO! ICH REDE MIT FRASER! DU WIRST SCHON WARTEN MÜSSEN.«
»ES IST WICHTIG!«
Also wirklich – was für ein nervtötender Mann!
»Tut mir leid, Frase, ich muss auflegen. Es ist irgendwas mit Billy.« Mia seufzt auf dem Weg zum Badezimmer. »Ich ruf dich gleich zurück, okay?«
Als sie ins Bad kommt, sitzt Eduardo mit einem triefend nassen Billy auf dem Schoß da und blickt verärgert zu ihr auf.
»Was ist das?«, fragt er anklagend.
»Was ist was? Wenn du ihn nicht in ein Badetuch einhüllst, Eduardo, wird er sich erkälten.«
»Ich wollte dir vorher etwas zeigen«, versetzt Eduardo und zeigt auf ein paar winzige Pickelchen an Billys Schenkeln, die so klein sind, dass Mia sie kaum sehen kann. »Hast du ihm Erdbeeren gegeben? Du weißt doch, dass er allergisch gegen Erdbeeren ist?«
Mia blinzelt, stößt ungläubig die Luft aus und geht ins Wohnzimmer, um Eduardo nicht in die Badewanne zu stoßen und ihn zu ertränken. Wie kann er sich unterstehen, ihr zu sagen, wogegen ihr Sohn allergisch ist?
»Und?«, brüllt Eduardo aus dem Bad.
»Oh ja, ich vergaß den Nachmittagstee mit Erdbeertorte, den wir vorgestern hatten«, schreit Mia zurück, »und die zwei Körbchen Erdbeeren, die ich ihm gestern nach seinem Erdbeerjoghurt gab, dem eine Erdbeer-MOUSSE vorangegangen war.«
Hier unterbricht sie sich. Sie wusste gar nicht, dass sie so schlagfertig sein konnte.
»Ich frag doch nur, Mia«, meint Eduardo. »Das werde ich ja wohl noch dürfen. Er ist …«
Und Mia formt die Worte mit den Lippen, weil sie weiß, was kommt: »… immerhin auch mein Sohn.«
Oh, GOTT! Es macht sie wahnsinnig.
Doch genauso ist Mias Privatleben in letzter Zeit: eine ermüdende Runde von Beschuldigungen und scheinheiligen Erklärungen nach der anderen. Sie kann nicht kochen, sie weiß nicht, was sie ihrem Sohn zu essen geben muss. Neulich hat Eduardo sogar ihre Art zu bügeln kritisiert. Und das von dem Mann, der bestimmt in seinem ganzen Leben noch kein Bügeleisen in der Hand gehalten hatte. Aber sie weiß, warum er so ist: Eduardo fühlt sich in seiner Rolle als Oberkellner im Bella Italia »frustriert« und »erniedrigt«, und deshalb ist natürlich alles ihre Schuld.
Seiner Meinung nach müsste er inzwischen Chefdesigner in einem Designerstudio sein – das war es, was er bei Goldsmiths lernte, als Mia ihn kennenlernte. Das Problem ist, dass Eduardo immer schon der Ansicht war, dass irgendjemand ihm diesen unglaublichen Job geben würde, ohne dass er dafür auch nur einen Finger rühren müsste. Er würde sich nie dazu »erniedrigen«, Arbeitserfahrung zu sammeln, wie sie es getan hatte, als sie Stunde um Stunde umsonst gearbeitet hatte, Sechzehn-Stunden-Drehs in der eisigen Kälte, nur um einen Assistentinnen-Job zu bekommen – und dann ein Baby, um all ihre Anstrengungen den Bach hinuntergehen zu sehen.
Ja, Eduardos Ego leidet, er sinkt immer tiefer, um sein Selbstvertrauen zu stärken, und greift sogar zu Tricks, wie auf Portugiesisch mit ihr zu streiten: »Wochenlang Unterricht, und du verstehst noch immer nichts von dem, was ich dir sage!«
Würde er noch immer zu allen möglichen Zeiten auftauchen und sie im Stich lassen, was Billy anging, würde sie die Beziehung beenden – und zwar auf der Stelle. Aber er hält sich gerade genug an die Regeln, um ihr das unmöglich zu machen.
Mia hat jetzt, was sie monatelang vermisst hat: eine Bindung. Und vielleicht liebt Eduardo sie ja auch auf seine Weise; sie ist sich sogar ziemlich sicher, dass es so ist. Aber hat sie sich je gefragt, ob
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