Kleine Luegen erhalten die Liebe
Wise gelegentlich als Toilette benutzt wurde, und noch einiges andere Gerümpel. Ob es regnete oder die Sonne schien, das Gasfeuer im Kamin verbreitete immer eine Bullenhitze und drohte, Mrs. Durhams Sammlung königlicher Erinnerungsstücke, die den Kamin umgab, dahinschmelzen zu lassen. Auch Weihnachtsdekorationen fehlten nicht: Lametta hing über dem Fenster und der Tür, und fünf gläserne Schneemänner in ansteigenden Größen schmückten den Kaminsims.
»Meinen Sie nicht, Sie sollten die herunternehmen?«, hatte Mia schon so manches Mal beim Staubwischen gefragt.
»Wozu? Damit ich sie in ein paar Monaten wieder aufstellen muss?«
Das war’s, womit sie es zu tun hatte.
Und trotzdem freute Mia sich meistens auf ihre Besuche bei Mrs. Durham. Die alte Dame konnte eine richtige Xanthippe sein, deren persönliche Hygiene und Manieren oft sehr zu wünschen übrig ließen, doch sie konnte Mia auch zum Lachen bringen (überwiegend unbeabsichtigt, aber dennoch), und sie konnte auch sehr interessant sein, wenn sie wollte. Mia hörte immer wieder gern die Geschichte, wie Reg, Mrs. D.’s Ehemann, ihr auf dem Oberdeck eines Londoner Busses einen Heiratsantrag gemacht hatte, drei Tage nur, bevor er zu seiner Arbeit in den Minen zurückkehren musste, und wie sie beschlossen hatten, noch am selben Nachmittag zu heiraten, Mrs. D. in dem Brautjungfernkleid, das sie zur Hochzeit ihrer Schwester getragen hatte, weil keine Zeit blieb, etwas anderes zu besorgen.
In den letzten Wochen – und besonders heute – war sie jedoch extrem schwierig gewesen. Wenn sie sich nicht endlos über ihre diversen »Gebrechen« ausließ, versuchte sie, die Tage bis zu ihrem Tode auszurechnen, oder zählte ihre mittlerweile verstorbenen Freunde. Die arme Barbara war nun schon mehrere Monate tot, und Mrs. D. hatte ihr noch immer nicht verziehen, dass die Krebskranke sie nicht oft genug besucht hatte.
Morecambe schlenderte in die Küche, schwenkte verdrossen den Schwanz und warf dabei Mia einen bösen Blick zu. Sie streckte ihm die Zunge heraus und öffnete den Kühlschrank, um eine halb geleerte Dose Katzenfutter herauszunehmen. Sie hielt es für ziemlich unappetitlich, Katzenfutter am selben Ort wie Lebensmittel für Menschen aufzubewahren, aber vor allemdeshalb, weil es bei Mrs. D.’s schlechtem Sehvermögen nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie sie eines Tages vor einem Döschen Sheba antraf, das sie für eine ihrer ranzigen Dosen Pastete hielt. Obwohl, wenn man es genau bedachte, bestand kein allzu großer Unterschied zwischen dem einen und dem anderen.
Mia löffelte das Katzenfutter in eine Schale und schob sie mit dem Fuß auf Morecambe zu, der ihr einen Blick zuwarf, der zu besagen schien: Jetzt mag ich zwar auf dich angewiesen sein, doch in einem anderen Leben werde ich’s dir heimzahlen.
Dann brühte sie eine Tasse Tee auf, gab die obligatorischen drei Würfel Zucker hinein, stellte sie auf das Tablett zu den Keksen und ging ins Wohnzimmer zurück.
Mrs. Durham sah den Teller lustlos an. »Die Kekse können Sie wieder wegbringen«, sagte sie. »Ich habe keinen Appetit, Mary, überhaupt keinen.«
Mia nahm einen der Kekse und stopfte ihn sich in den Mund. Sie merkte zu spät, dass er viel zu groß war, und musste sich abwenden, um ihn herauszunehmen und in zwei Stück zu zerbeißen.
»Also gut«, meinte sie und klopfte die Krümel von ihrer Jeans ab, »dann werde ich jetzt Dr. Yelland anrufen, um zu sehen, ob er etwas gegen die Schmerzen in Ihrer Schulter und Ihren Appetitmangel tun kann.«
Sie ging auf das Telefon zu.
»Sparen Sie sich das!«, sagte Mrs. Durham in diesem aufreizend selbstgefälligen Ton, den sie neuerdings anschlug. »Sie verschwenden nur seine Zeit und Mittel, und er wird mir das Gleiche erzählen wie immer: ›Verschleiß, Mrs. Durham, Verschleiß.‹«
Mia hätte sich die Haare raufen können. »Lassen Sie michmit ihm sprechen, Mrs. Durham, ob er Ihnen nicht wenigstens etwas Stärkeres als Paracetamol verschreiben kann!«
Mia hörte Mrs. Durham tief durch die Nase einatmen, und als sie sprach, hatte sie wieder einen unerträglich schwermütigen Ton.
»Dafür bin ich dem Ende schon zu nahe, meine Liebe. Ich glaube nicht, dass Pillen mich noch retten können …«
Mia legte den Hörer wieder auf. »Und was ist mit alternativen Therapien? Haben Sie schon mal darüber nachgedacht? Es heißt, dass Hynotherapie bei Arthritis sehr gut helfen soll. Oder Aromatherapie?«
»Stromertherapie? Wo ich kaum noch
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