Kleine Luegen erhalten die Liebe
aufmerksame und großzügige Frau ist, und lebt in der Hoffnung, dass er eines Tages, am liebsten noch in dieser Woche, vielleicht aufwachen und feststellen wird, dass er sich in sie verliebt hat – auch wenn er das Gefühl nicht loswerden kann, dass all seine Träume in Rauch aufgehen, sowie er in Gesellschaft dieser Frau ist.
Er glaubt zwar nicht, dass seine Träume sich noch verwirklichen werden, doch sie sind immerhin noch da und lauern in einem Hinterstübchen seines Kopfes wie vergessene Schätze auf dem Meeresgrund: wie beispielsweise der, einen unglaublich erfolgreichen Song zu schreiben, der ihm unzählige Fans und einen Plattenvertrag einbringen wird. Bevor Liv starb, hatten sie einen Song angefangen, den sie Hope and Glory nannten und in dem es um Jugend ging – all ihre Songs schienen sich damals um Jugend und ewiges Leben zu drehen – und den sie nie beendet hatten. Aber Norm lebt nicht mal mehr in derselben Stadt, sodass mit einer Band zu üben ohnehin nicht zur Debatte steht. Diese Träume kommen Fraser utopisch und idiotisch vor, wenn er mit Karen zusammen ist, und er weiß nicht, ob das nur so ist, weil er reifer wird oder weil sie einfach nur die Falsche für ihn ist. Im Moment ist es ihm jedoch ganz recht so, weil seine Träume ihm (so leer und traumatisiert, wie er sich derzeit fühlt) zu beängstigend erscheinen, um darüber nachzudenken. Sie kommen ihm vor wie gigantische fremde Länder, die zu erobern er weder die nötige Kraft noch die Motivation besitzt.
Er blickt auf seine schmutzigen Turnschuhe herab und fragt sich, ob sie das richtige Schuhwerk für eine Salsa-Stunde sind. Was trägt man eigentlich zu einem solchen Unterricht? Der Himmel bewahre ihn vor nackten Füßen! Denn tief im Innersten weiß Fraser mit absoluter Sicherheit, dass er gegen jede körperliche Betätigung sein würde, die nackte Füße erfordert.
Vom Eingang des Topshops geht er zur Mitte des Bürgersteigs, und jetzt kann er sie sehen, ihr Lächeln und ihren dunklen Kopf, der in der Menge der Passanten auf und nieder wippt, als sie sich mit erhobenen Armen und mehreren Einkaufstüten in den Händen durch die abendliche Menge drängt.
Karen ist eine enthusiastische Käuferin – und enthusiastisch ,denkt Fraser, ist genau das richtige Wort. Er war immer davon ausgegangen, dass alle Frauen geborene Käuferinnen waren, so wie Jungen praktisch schon von Geburt an wissen, wie man ein Regal baut. Aber Karen scheint die Ausnahme von dieser Regel zu sein, indem sie zwar fast täglich etwas Neues zum Anziehen mitbringt oder eine Lieferung von eBay erhält, die Sachen jedoch sofort wieder umtauscht oder zurückschickt.
Die Abende bei Karen gestalten sich für Fraser weitgehend so, dass er allein auf ihrem Sofa sitzt und der Fernseher übertönt wird von dem Geräusch des sich ablösenden Klebebandes, das mit den Zähnen abgerissen wird, als führte Karen im Nebenzimmer eine Art mittelalterlicher Operation durch.
Jetzt winkt er ihr zu, und sie antwortet mit einem strahlenden Lächeln, weil sie wegen der vielen Einkaufstüten, die auch an ihren Armen hängen, das Winken nicht erwidern kann. Er geht auf sie zu. Sie nimmt sein Gesicht trotz all der Tüten zwischen ihre Hände und küsst ihn, als er sie erreicht.
»Hallo, Fred …«
Von der Eile hat sie einen feinen Schweißfilm auf der Oberlippe, aber ihr Gesicht ist auch gerötet, und ihre Augen funkeln, was sie – wie Fraser nicht umhin kann zu bemerken – hübsch, gesund und fruchtbar wie ein Milchmädchen aussehen lässt.
»Fred?«, fragt er verwirrt.
»Na, Astaire, gell?« Sie lacht und schaut wieder mit diesem Ausdruck zu ihm auf, von dem er wirklich wünscht, sie würde ihn sich abgewöhnen, und obwohl er sich redlich bemüht, es nicht zu tun (ein tagtäglicher Kampf!), erschaudert er.
Karen hat sich angewöhnt, viele Sätze mit diesem »gell?« zu beenden, doch wie andere kleine Schrullen, die sie hat, ist sie auch ein bisschen schwer von Begriff. Kaum kommt ihm der Gedanke, tadelt Fraser sich jedoch dafür. Auch das ist etwas,was ihn an Karen stört: Sie holt das Kleingeistige aus ihm hervor: Die kleinste Unbedarftheit jagt ihm schon einen kalten Schauder über den Rücken, und er hasst sich selbst dafür. Was glaubst du eigentlich, wer du bist?, fragt er sich erbost. Der Hüter der Coolness?
»Ach ja, natürlich! Klar«, sagt er. »Jetzt verstehe ich. Fred Astaire. So, so …« Er zieht eine Augenbraue hoch, als wollte er sagen: Das kann ich mir
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