Kleine Luegen erhalten die Liebe
nicht vorstellen. »Okay, ich glaube, soweit es bei mir möglich ist, bin ich bereit.«
Aber er weiß, dass er es nie sein wird. Niemals. In seinem ganzen Leben nicht. Und als er jetzt an diesem warmen Aprilabend mit Karen auf der Straße steht, sagt ihm jede Zelle seines Körpers, dass er lieber sonst was tun würde, als Salsa-Unterricht zu nehmen – beispielsweise sich einer lebensgefährlichen Operation zu unterziehen.
Doch »IRGENDEINEN Tanz lernen« ist nun einmal eine der vier Aufgaben von Livs Liste, die ihm zugefallen sind, und deshalb ist er fest entschlossen, sogar das für sie zu tun.
Nachdem er und Mia an jenem schrecklichen Tag nach Livs Geburtstag ihren Plan gefasst hatten, ließen sie alle zu Mia kommen, wo sie eine ergebnislose Stunde lang versuchten, den anderen freie Hand beim Aussuchen von jeweils vier Aufgaben von Livs Liste zu lassen.
Aber das führte zu nichts anderem als Geschrei, und Melody und Norm sprachen schon von Scheidung, als beschlossen wurde, dass sie als das einzige Paar unter ihnen den Amateurporno drehen sollten. »Ha!«, hatte Melody laut auflachend gesagt. »Schön wär’s! Wir hatten keinen Sex mehr seit Oktober!«, worüber Norm alles andere als amüsiert gewesen war.
Sie kamen zu keinem Ergebnis, bis Mia schließlich die Idee hatte, alle Aufgaben auf Zettel zu schreiben, sie in einen Hut zu legen und das Schicksal entscheiden zu lassen.
Und das war letztendlich dabei herausgekommen:
Fraser musste tanzen lernen, mit einer exotischen Fremden schlafen, ohne völlig neurotisch zu werden wegen der Frage, was es »zu bedeuten« hatte – was er notfalls wahrscheinlich sogar schaffen würde, wie er dachte. Aber er musste zudem auch alle sieben Scrabble-Buchstaben auf einen Schlag verbrauchen und eine römische Jalousie anfertigen.
Norm hatte die Aufgaben, einen perfekten Viktoria-Biskuit zu backen, Vegas, Baby!, sich ein Sixpack anzutrainieren und die Chinesische Mauer zu besteigen.
Mia würde nach Venedig fahren, aber diesmal richtig, und in Harry’s Bar einen Bellini trinken, nackt bei Sonnenaufgang im Meer schwimmen, eine Fremdsprache erlernen und sich zeigen lassen, wie man Augenbrauen zupft.
Anna musste sämtliche Werke von William Wordsworth lesen, zu meditieren und »im Moment zu leben« lernen; eine Zeit lang in Paris leben und lernen, wie man Essstäbchen benutzte.
Bei Melody waren es heiße Küsse im Central Park, einen Amateurporno drehen und für alle wundervollen Freunde Olivias eine Party geben.
Nummer neunzehn wollten sie alle zusammen und als Letztes tun:
Zu einem Flughafen fahren, die Augen schließen, willkürlich ein Ziel aussuchen, und LOS! Selbst wenn es nach Stuttgart oder Birmingham ging.
Natürlich hat Fraser Karen nichts von der Liste erzählt. Deswegen fühlt er sich ein bisschen schuldig, weil er sich, wenn es keine Liste gäbe – und vor allem keine Liv gegeben hätte –, nie im Leben freiwillig für eine Salsa-Stunde angemeldet hätte. Wider besseres Wissen hatte er es heute seinen Kollegen John und Declan erzählt, um ein bisschen Leben in den langweiligsten Arbeitstag dieses Jahres zu bringen (acht Stunden hatte er jemandem ein Mikrofon ins Gesicht gehalten, während vor McDonald’s ein Bericht über Fettleibigkeit gedreht wurde), und die Jungs hatten ihn erbarmungslos damit aufgezogen und behauptet, niemanden zu kennen, dem es weniger zuzutrauen wäre, dass er zu einer »fidelen« Salsa-Stunde ging … Am meisten ärgerte ihn, dass fidel in diesem Fall nur eine Umschreibung war für schwul .
Aber das weiß Karen nicht, und was sie nicht weiß, kann sie auch nicht verletzen, hatte Fraser sich gedacht. Außerdem war sie begeistert gewesen, als er sie gefragt hatte.
»Wirklich? Ohne Scheiß?« (»Ohne Scheiß?« ist einer von Karens Lieblingsausdrücken aus den Neunzigern, wie »cool« oder »abgefahren«.) »Du willst wirklich Tanzstunden nehmen – mit mir?« Für einen Moment war sie so verblüfft, als hätte er gefragt, ob sie ihn heiraten wolle, und dann kreischte sie vor Entzücken und umarmte ihn so fest, dass sie ihn fast erstickte mit ihren gewaltigen, ja, wirklich gewaltigen , erstaunlichen und wunderbaren Brüsten. Egal, wie oft sie »gell?« sagt – Fraser bezweifelt, dass er von diesen Brüsten je genervt sein könnte.
Deshalb fühlte er sich befreit von seiner Schuld, aber als er jetzt an Karens Begeisterung für den Tanzfilm Die gegen alle Regeln tanzen denkt und die Tatsache, dass sie ihn Fred Astaire genannt
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