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Kleine Luegen erhalten die Liebe

Kleine Luegen erhalten die Liebe

Titel: Kleine Luegen erhalten die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katy Regan
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zum Ausdruck gebracht hat, dass Karen ein wunderbarer Mensch ist und er endlich erwachsen wird und Kompromisse zu machen lernt , sagt Mia sich: Halt den Mund, Mädchen! Halt dich zurück und kümmere dich um dein eigenes Leben! Seins geht dich nämlich überhaupt nichts an. So wie es auch nicht seine Sache ist, was sie und Eduardo tun. Es gibt neuerdings also viele Grenzen, was ihre Gespräche mit Fraser angeht, und viel mehr Small Talk zwischen ihnen als früher.
    Melody beugt sich vor und tut so, als legte sie die Hände um Lorenzos Po, und Anna schnalzt verächtlich mit der Zunge. Früher wäre sie die Erste gewesen, die Gondolieri interessiert beäugt. Mia beobachtet sie und fragt sich wie so oft in letzter Zeit, ob sie ihre Freundin überhaupt noch kennt. Oder je gekannt hat. Sie waren schließlich immer alle zusammen aufgetreten, als Clique oder »Sechsergruppe« sozusagen. Aber nun, da Liv, das Herz der Clique, nicht mehr lebt, ist sie zersplittert, und plötzlich müssen sie als Einzelpersonen Zugang zueinander finden. Mia ist sich jedoch nicht sicher, ob sie eine Beziehung zu Anna als Einzelperson hat. Das stimmt sie traurig und bereitet ihr irgendwie auch ein schlechtes Gewissen.
    Natürlich hatten sie immer Spaß miteinander gehabt – in puncto Spaß, Abenteuer oder interessante Geschichten konnte man stets auf Anna zählen; aber was tiefer gehende Dinge anging? Mia fragt sich allmählich, ob Anna nur mit Liv ihre geheimsten Gedanken und Zweifel geteilt hatte. Liv hatte Anna sehr nahegestanden und sich immer ganz besonders angestrengt, ihre komplizierte Freundin, die einen manchmal zur Raserei bringen konnte, zu verstehen. Als Livs beste Freundin hat Mia das Gefühl, jetzt diese Rolle übernehmen zu müssen, doch leider glaubt sie nicht, dass sie der Aufgabe gewachsen ist. Trotzdem beschließt sie nun, es zumindest zu versuchen.
    »Wie ist dein Buch, Spanner?«, fragt sie heiter. »Vielleicht kannst du mir ja beibringen, im Moment zu leben.«
    »Erstaunlich. Wirklich faszinierend. Es wirft ein völlig neues Licht aufs Leben, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Nicht wirklich, dachte Mia, aber sie lächelt ihrer Freundin zu, die völlig in ihr Buch vertieft ist.
    Anna ist eine Frau voller Gegensätze und Extreme, und Mia vermutet, dass dies ihre Methode ist, ihr Übermaß an Sex und Sinnenlust in all ihren Formen (wie vorauszusehen, war seit Livs Geburtstagsfeier kein Wort mehr über Ollie gefallen) mit gesundheitsbezogenen Hobbys wie Schröpfen, Entspannungsflotation oder, wie jetzt, Buddhismus auszugleichen. Eine der Aufgaben auf Livs Liste, die Anna gezogen hat, ist Meditieren lernen , und da sie keine halben Sachen macht, hat sie seitdem begonnen, in einem nahen Kloster an »Schweige«-Wochenenden teilzunehmen. Sie ist viel mit einem Meditationsguru namens Steve zusammen – ein Name, den Mia nicht gerade mit »Chakra« oder derlei Dingen in Verbindung bringen kann.
    Aber Mia ist froh, dass Anna ein Ziel im Leben hat. Ihre Arbeit bei einem Zeitarbeitsunternehmen gibt ihr schließlich nicht gerade viel davon. Anna scheint unfähig zu sein, etwas zu finden, das sie begeistert (und sie kann auch nicht einfach nur einen Job finden, es muss schon einer sein, der »ihre Welt in Flammen setzt«). Es ist nur so, dass diese neue spirituelleRichtung Mia zu extrem erscheint, sogar für Anna. Was ist aus der kessen, respektlosen Anna Spanner von früher geworden? Aus der leichtsinnigen, frechen Anna, die schon bei der bloßen Vorstellung zu meditieren die Augen verdreht hätte?
    Lorenzo fährt weiter, und Mia staunt über ihre Umgebung und nimmt sie so begierig in sich auf, als wäre dies nach jahrelangem Gefängnisaufenthalt ihr erster Ausflug in die frische Luft: das funkelnde, jadegrüne Wasser, die hölzernen Landungsstege mit den daran festgemachten Gondeln, die wie Reihen von Aladins Schuhen aussehen. All das erscheint so unwirklich wie ein Gemälde. Hin und wieder hat sie den Eindruck, ein Déjà-vu-Erlebnis zu haben: Ein Bild erscheint vor ihrem inneren Auge von ihnen allen beim letzten Mal, als sie hier gewesen waren und in einer Gondel gesessen hatten. Es ist jedoch weniger ein Bild als vielmehr ein Gefühl von irgendwas: der Festigkeit ihrer damals noch neunzehnjährigen Schenkel in den abgeschnittenen Jeans, dem Geräusch von Livs gackerndem, völlig ungeniertem Lachen, von Anna, die ihr Aussehen in dem glänzenden Wasser überprüfte, während alle anderen so taten, als bemerkten sie es nicht. Wo

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