Kleine Luegen erhalten die Liebe
sich nicht entspannen. Sie wird das Gefühl nicht los, Anna verstimmt und daran erinnert zu haben, dass Reisen gut und schön ist, abgesehen davon, dass man sich selbst und andere Leute mitnehmen muss.
Sie muss auch zugeben, dass die berühmten Bellinis eine ziemliche Enttäuschung sind: bloß ein fader, pfirsichfarbener Drink, der in einem winzig kleinen Glas serviert wird, ohne Schirmchen oder Wunderkerze. Melody und sie bestellen trotzdem jede einen, die sie fast fünfzehn Pfund ärmer machen.
Zwei Italiener auf der anderen Seite des Ganges taxieren sie, und Mia sieht, wie sie aufstehen und zu ihnen herüberkommen.
»Mist, verdammter!«, flüstert sie Melody zu.
»Wieso? Sie sehen doch nett aus.«
Melody, die mittlerweile ziemlich betrunken ist, wirft ihr Haar zurück, lässt einen ihrer Spaghettiträger, die einen Touch zu lässig sind für einen Ort wie diesen, von der Schulter fallen und winkt den Männern zu.
»Ciao. Engländer?« Mia sinkt das Herz, als einer von ihnen, eine große, weltmännische Erscheinung, sich neben sie setzt und sein viel kleinerer, aber netterer und hübscherer Freund neben Melody Platz nimmt.
»Richtig geraten«, antwortet sie und rückt ein wenig von ihm ab, als sie merkt, dass ihre Schenkel sich berühren und sie am Atem des Mannes riechen kann, was er zum Mittagessen hatte.
Melody beugt sich vor, bis ihr sonnengebräunter Busen fast aus ihrem Top herausfällt. »Und Sie sind Italiener, nicht?«, fragt sie. »Ich wusste es! Ich habe es dir ja gleich gesagt, Mia! Ich meine, ich weiß, dass wir in Italien sind, sodass es eigentlich offensichtlich ist und alles …« Sie lacht, nein wiehert , sodass ihre vom Rotwein leicht verfärbten Zähne und teilweise sogar ihre Mandeln zu sehen sind. Mia denkt erschrocken: Oh Gott, ist sie betrunken! »Aber nur die Italiener wissen, wie man sich kleidet, um zu imponieren.«
Der Abend schreitet fort; kein Anzeichen von Anna, und Melody flirtet weiter mit Bruno und Patricio aus Bologna und verwickelt die beiden und Mia in ein albernes und kompliziertes Trinkspiel.
Aber Mia kann sich noch immer nicht entspannen. Sie hat nach wie vor einen Knoten im Magen, und bisher haben sienicht einmal einen Toast auf Liv ausgebracht oder etwas dazu bemerkt, dass sie hier in Harry’s Bar sind und einen Bellini trinken – genau so, wie Olivia es gewollt hätte. Darum ging es schließlich doch!
Als Bruno und Patricio hinausgehen, um eine Zigarette zu rauchen, beugt Melody sich vor und legt einen Arm um ihre Freundin. »Also, Bruno gehört mir, doch du kannst Patricio haben«, meint sie kichernd, und Mia schafft es irgendwie zu lachen. (Tu so, als hättest du auch einen im Tee!, denkt sie. Versuch wenigstens, so auszusehen , als amüsiertest du dich!) Wieso hat sie keinen Spaß wie Melody? Warum flirtet sie nicht auch mit Bruno und Patricio? Sie hatte schließlich seit Ewigkeiten keine Gelegenheit mehr zu flirten.
Melody bestellt eine weitere Runde Bellinis, was Mia an die riesige Kluft zwischen ihrem Einkommen und dem ihrer Freundin erinnert. Bruno und Patricio kommen zurück, und Melody torkelt von der Bar zurück und stellt die Gläschen auf den Tisch. »Ich kenne noch ein anderes gutes Trinkspiel, Leute!«, verkündet sie.
Und Mia, die das überwältigende Bedürfnis hat, Fraser anzurufen, fragt sich, welche Uhrzeit es jetzt in Las Vegas ist.
♥
Auf einer Fußgängerbrücke über dem Las Vegas Strip steht Fraser, verschwitzt, alkoholisiert, mit zerrissenem Hemd und blutend.
Es ist Mittag: die mörderische Wüstensonne steht hoch am Himmel. Fraser hat eine Hand am Geländer, in der anderen sein Handy, und er ist völlig von der Rolle, das weiß er, aber er ist nicht mehr in der Lage, sich zusammenzunehmen.
Am liebsten würde er jedem, der ihn zwischen dem Neonund den Palmen in der Vierundzwanzig-Stunden-Party-Stadt hören kann, zuschreien: Hey, das ist wie in den guten alten Zeiten! In den verrückten, schlimmen ersten Zeiten, als ich noch richtig irre war! RICHTIG irre!
In irgendeinem noch vernünftigen Teil seines Hirns, in diesem winzigen Teil, der nach diesem dreitägigen Besäufnis nicht von Alkohol, Zigaretten und dem Himmel weiß was sonst noch verseucht ist, weiß er, dass dies etwas ist, das er selbst verursacht hat, und hasst sich sogar noch mehr dafür. Du Idiot, Fraser!, denkt er. Du gottverfluchter, dämlicher Idiot!
Aber es ist Livs wegen – er wusste, dass das passieren könnte, wenn er hierherkommen würde; er wusste , dass
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