Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
geht nicht zur Polizei, nein, das wird er nicht tun, das könnte nach hinten losgehen. Er wird sich einen Detektiv engagieren. Oder doch besser zur Polizei?«
»Und? Was macht das für einen Unterschied?«
Julia wiegte ihren Kopf hin und her und sagte: »Ich weiß es noch nicht. Versuchen Sie es von einem anderen Computer aus, nicht von hier, und dann werden wir ja sehen, wie Großmann reagiert.«
11.
>Der Bandit<, die Studentenkneipe der Stadt, war ziemlich gut besucht. Es war Frühstückszeit, und der Wirt wunderte sich längst nicht mehr, wie großzügig Eltern ihre Sprösslinge mit Taschengeld versorgten. Nun, ihm war das recht. Er hatte den ganzen Tag über zu tun, denn es gab keine Tageszeit, zu der >Der Bandit< nicht besetzt gewesen wäre. Irgendwelche Studenten frühstückten immer.
Früher verkehrten Wolfram Krefeld und Leo Thorn hier nur äußerst selten. Beide stammten aus weniger begüterten Familien. Ihre Lehrbücher, teils zerfleddert, manchmal mit nützlichen Randbemerkungen versehen, aber immer mit scharfen Girls verziert, bezogen sie von höheren Semestern oder aus dem Antiquariat. Sie gehörten nicht zu den Stammgästen des >Banditen<. Das erkannte man schon an ihren Klamotten. Damals zählten sie zu den wenig trinkfesten Studenten, und heute zu den wenigen ziemlich gut bezahlten Informatikern.
Wolfram Krefeld betrat den >Banditen< und blieb gleich an der Tür stehen. Er blickte sich suchend um. An einem Tisch, den während ihrer Studienzeit die vier größten Angeber für sich reklamiert hatten, sah er jemanden seinen Arm in die Höhe recken und ihn heranwinken. Das musste Leo Thorn sein. Sie begrüßten sich und lachten, denn jeder hatte erwartet, den anderen wie gewohnt in Jeans, langhaarig und unrasiert zu sehen. Aber nichts von dem war geblieben. Beide trugen gute Anzüge und teure Oberhemden. Selbstverständlich waren sie mit ordentlichem Haarschnitt erschienen.
»Also hast du meine E-Mail doch bekommen«, sagte Thorn. »Komm, setz dich. Was soll ich dir bestellen?«
Krefeld wusste nicht so recht, worauf er Appetit hatte, Bier jedenfalls nicht.
»Einen Kaffee vielleicht«, sagte er.
»Du bist selbstverständlich mein Gast, und wenn du extra meinetwegen aus dem Ausland angereist bist, dann werde ich dir deine Auslagen ersetzen. Das ist ganz klar, schließlich will ich etwas von dir erfahren.«
Krefeld rührte gemächlich in seinem Kaffee. Er legte ein Stück Würfelzucker auf den Löffel, goss Sahne darauf und wartete, bis der Zucker sich aufgelöst hatte. Dann trank er die Mischung und spülte den Löffel in der Tasse ab. Den Kaffee selbst trank er stets schwarz.
Krefeld hatte bis jetzt noch nicht herausgefunden, was Thorn von ihm erwartete. Die E-Mail gab darüber keine Auskunft. Er konnte sich zwar einiges denken, aber klar war es ihm deshalb immer noch nicht. Nur das Umgekehrte wusste er ganz genau: Er brauchte Thorn. Ohne ihn konnte er nicht in die Computer von Großmann & Sichel eindringen. Die Zeit drängte, aber hektische Eile könnte alles verderben.
Krefeld war der Ruhigere von beiden. Jedenfalls in dieser Situation. Er trank seinen Kaffee und kümmerte sich nicht um die anderen Gäste. Thorn dagegen rutschte auf seinem Stuhl hin und her und beugte sich weit vor, als wollte er ein ganz vertrauliches Gespräch führen. Seine Augen blieben keinen Moment stehen, und auch die Hände wirkten fahrig.
»Nun ja«, begann Thorn, »die Arbeit, die ich jetzt habe, gefällt mir ganz gut. Ich verdiene, das kann man wirklich sagen, recht ordentlich. Ich kann also nicht klagen. Und ich möchte diesen Job auch nicht verlieren. Keinen Fehler machen. Verstehst du?«
Krefeld wiederholte betont langsam die Prozedur mit dem Zucker und der Sahne. Diesmal wartete er, bis sich auch das allerletzte Krümchen aufgelöst hatte. Er sah zu, wie die Sahne langsam den Würfelzucker hinaufkroch. Das dauerte eine Weile.
»Nein«, antwortete er dann, »so recht verstehe ich noch nicht, wie ich dir helfen kann, keinen Fehler zu machen.«
»Nun ja«, sagte Thorn wie vorhin, »du warst ja vor mir in dieser Firma. Und jetzt bist du nicht mehr dort. Ich meine: Hat das vielleicht einen Grund?«
»Das hat einen Grund. Einen richtig miesen Grund sogar. Ich habe diesem ... diesem Geschäftsmann ein völlig neues Netz aufgebaut mit Zugangsbeschränkungen, die er für jeden einzelnen seiner Mitarbeiter jederzeit ändern kann. Er kann von seinem Rechner aus in jeden anderen hineinsehen und dort nach Belieben
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