Kleine Schiffe
das Gefühl, als verliebte ich mich, zögernd und zweifelnd, aber unaufhaltsam wieder in Andreas – ohne etwas dagegen tun zu können. Andreas ist wieder wie der herzliche, liebevolle Mann, den ich damals bei meinem Segelurlaub kennenlernte. Seine Chefarzt-Attitüden, seine Dominanz, sein mitunter fast unfreundliches Verhalten – das scheint der Vergangenheit anzugehören. Die Kinder bringen den großen fröhlichen Mann mit dem jungenhaften Charme, den ich damals geheiratet hatte, wieder zum Vorschein. Vielleicht war er auch immer dort, unter den Schichten von Alltag, enttäuschten Erwartungen und Anforderungen? Vielleicht habe auch ich dazu beigetragen, dass er sich veränderte?
Andreas spielt hingebungsvoll mit den Kindern, er lacht viel, und ich denke wieder an die zahllosen Nächte, in denen ich mich an seiner Seite so sicher gefühlt habe. An das tiefe Gefühl der selbstverständlichen Zugehörigkeit, das ich seitdem nicht wieder gespürt habe. Nicht einmal in Simons Armen.
Wir erleben diese Tage nach Weihnachten wie Abenteurer auf Entdeckungsreise in unerforschte Territorien: neugierig, erwartungsvoll, ohne Ziel – geplant wird immer nur bis zur nächsten Wegbiegung. Wie durch ein Wunder bleiben wir allein. Tina ist nun doch zur Familie ihrer Schwester aufs Land gefahren, Papa und die Unvermeidlichen veranstalten einen mehrtägigen Skat-Marathon, bei dem der Verlierer des Tages am nächsten Tag die Rolle des Gastgebers übernimmt. Wir sind also unter uns. Amélie, Lisa-Marie, Andreas und ich.
Und wenn die Kinder schlafen, gibt es nur noch uns zwei.
Drei Tage vor Silvester nutze ich den Mittagsschlaf der beiden für ein ausgiebiges Bad. Andreas liest unten im Wohnzimmer. Ich habe mich gerade abgetrocknet und will mich eincremen, als er an der Badezimmertür klopft.
»Franziska? Hast du eine Nagelschere?«
Schnell wickle ich mich in das Handtuch, hole die Nagelschere aus dem Spiegelschrank und öffne ihm.
»Hier!«
Andreas hält mir seinen rechten Zeigefinger hin. »Ich habe mir den Nagel eingerissen.«
Unsere Blicke treffen sich, bleiben aneinander hängen – länger, als zwei Menschen einander ansehen sollten, wenn einer kaum bekleidet ist.
»Brauchst du noch was?«
»Nein. Das heißt: doch. Ich bin mit der linken Hand ziemlich ungeschickt.«
Tatsächlich ist der Nagel des rechten Zeigefingers so tief eingerissen, dass ein Stück abgeschnitten werden muss. Ich halte seine Hand über das Waschbecken und erledige das schnell. »Bitte sehr!«
Andreas zögert, das Bad zu verlassen. Er sagt mit einem Blick auf die geöffnete Flasche Körperlotion, die ich auf den Badewannenrand gestellt habe: »Soll ich dir den Rücken einreiben?«
Wir sehen einander lange an. Schließlich sage ich: »Warum eigentlich nicht?«, und reiche ihm die Flasche. Ich drehe mich zum Spiegel um und sehe ihm zu, wie er etwas Lotion in seine Hand tropfen lässt und dann meine Schultern einreibt. Vorsichtig hebt er meine Haare hoch, massiert den Nacken und kreist dann mit seinen Händen tiefer. Und noch tiefer. Unter den Handtuchrand.
Unsere Blicke kreuzen sich im Spiegel. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut. Andreas beugt sich vor und küsst mich hinter das Ohr. Er nimmt seine Brille ab und legt sie auf die Ablage unter dem Spiegel. Mein Herz klopft gegen meinen Brustkorb. Seine Hände umfassen wieder meine Schultern, gleiten hinab zu meinen Hüften.
Und dann bewegen wir uns mit der geübten Sicherheit miteinander vertrauter Tänzer. Ich drehe ich mich zu ihm um, hebe meine Arme. Unsere Lippen treffen aufeinander, forschend und vorsichtig, wir küssen uns, erst zärtlich, dann atemlos. Ich fühle eine große Freude und Aufregung in mir aufsteigen.
Andreas hebt mich auf den halbhohen Badezimmerschrank. Jetzt sitze ich vor ihm, er stellt sich zwischen meine geöffneten Beine. Ohne seine Lippen von meinen zu nehmen, entledigt er sich seiner Jeans, mein Handtuch gleitet zu Boden … »Warte!«, murmelt er. Ich weiß sofort, worum es geht. Schnell ziehe ich mit der linken Hand den Spiegelschrank auf und zeige Andreas die Schachtel mit den Kondomen.
Für den Bruchteil einer Sekunde fällt mir Simon ein. Doch dann gibt es nur noch Andreas. Seine Berührungen, mein Verlangen, unser Atmen, unser Glück. Heftig und neu in ihrer Ungestümheit sind unsere gemeinsamen Bewegungen.
»Nimm mich mit«, murmelt er in mein Haar.
Hier und jetzt. Andreas …
Und in diesen Sekunden wird mir plötzlich alles klar. Danach habe ich mich
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