Kleine Suenden zum Dessert
durchgehen lassen. Sie ließ vieles durchgehen, um Jamie nicht Zeuge eines Austausches von Vorwürfen werden zu lassen.
Außerdem fürchtete sie, dass Ewan, wenn sie ihn zu sehr in die Enge triebe, vielleicht wieder davon anfangen würde, wo sie neulich nachts gewesen war, als er angerufen hatte.
Eine vorsichtige Befragung Julias hatte Besorgniserregendes erbracht. »Nun, als Sie nicht in Ihrem Zimmer waren und auch nicht im Bad, schaute ich in den Garten, weil ich dachte, Sie hätten vielleicht nicht schlafen können und wären hinausgegangen. Ich sagte ihm, dass ich Sie abends oft nicht finden könnte.«
Grace fühlte sich wie ein Luftballon, in den jemand eine Nadel gestochen hatte. »Das ... das haben Sie Ewan gesagt?«, brachte sie mit tonloser Stimme mühsam heraus.
»Na ja - ich wanderte mit dem schnurlosen Telefon am Ohr herum und machte währenddessen Konversation mit Ihrem Mann.« Graces Gesichtsausdruck beunruhigte sie offenbar, denn sie fragte: »Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein, nein!«
Aber Julia war nicht überzeugt und bemüht, ihr Verhalten zu rechtfertigen. »Wissen Sie noch, wie ich letzte Woche mitten in der Nacht meine Krücke verlor und Sie nirgends finden konnte? Und das andere Mal, als ich aufwachte und der Verband zu eng war und ich meinen Fuß nicht mehr spürte... Davon habe ich Ewan aber nichts erzählt«, beeilte sie sich zu beteuern. »Ich sage es nur.«
»Ich habe eine schwache Blase«, hatte Grace als lahme Erklärung gebracht. »Das war schon immer so.«
»Ach, Sie Ärmste«, bedauerte Julia sie, doch ihr Blick war plötzlich wachsam.
Grace hatte das Gefühl, sie sollte ihr reinen Wein einschenken. Immerhin war es Julias Haus, und Grace sollte sich um sie kümmern und sich nicht mit einem der Pensionsgäste vergnügen. Sie würde Julia vielleicht irgendwann bitten müssen, für sie zu schwindeln, und dazu müsste sie ihr die Wahrheit sagen. »Julia ...«, begann sie.
»Ja?«
»Wegen Adam ...«
»Oh, ich weiß. Er ist ein reizender, junger Mann, nicht wahr? Gestern hat er mir den ganzen Berg Holz da drüben für den nächsten Winter gehackt. Ich weiß gar nicht, wie ich ohne ihn zurechtkommen soll.« Sie hatte Grace mit einem einfältigen Lächeln die Ahnungslose vorspielen wollen, aber ihre Augen hatten sie verraten. »Und jetzt entschuldigen Sie mich - ich muss meine Übungen machen.« Sie rückte sich ihre Krücke zurecht. »An Ihrer Stelle würde ich die Sache beenden, solange ich noch die Oberhand habe«, murmelte sie im Davonhumpeln.
»Testosteron!«, trompetete Frank in Graces Gedanken hinein.
Sie schaute erschrocken auf. Frank hatte via Julia von dem Drama erfahren und saß mit einem dicken Medizinbuch am Küchentisch, das er mit herübergebracht hatte. »Wussten Sie schon, dass Jungen im Teenageralter achthundert Prozent mehr Testosteron im Körper haben als in ihrer Kleinkindzeit?«, fragte er.
»Achthundert Prozent?«, staunte Grace. Das ging in dieselbe Richtung wie das, was der amerikanische Arzt zu Ewan gesagt hatte.
»Das ist bewiesen!« Frank tippte mit dem Zeigefinger nachdrücklich auf das Buch. »Ihre beiden Söhne sind im Moment bis zum Platzen voll damit!«
»Sie sind doch noch gar keine Teenager.«
»Aber beinahe.« Er las weiter. »Mein Gott! Dieses Testosteron ist für alles Mögliche verantwortlich!«, sagte er mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination, als habe er selbst nichts davon in sich. »Aggressionen! Hautausschläge! Konzentrationsschwäche! Erektionsprobleme ...«
»Steht da auch was über Brüste?«
»Hier nicht.« Er blätterte um, als hoffe er, auf der nächsten Seite eine farbige Illustration davon vorzufinden. »Oh - vielleicht ist das was: ›Hormonelles Ungleichgewicht. Kann zu exzessivem Haarwuchs führen ... Schlafstörungen ... Brüsten!«, rief er.
Dann errötete er vor Verlegenheit über seine Begeisterung. Wahrscheinlich, weil er noch nie welche in natura gesehen hatte.
»Was steht da genau?«, wollte Grace wissen.
Er überflog den Text schweigend und sagte dann: »Es hat überhaupt nichts mit dem Testosteron zu tun.«
»Was? Aber Sie haben doch eben gesagt, das wäre die Erklärung!«
»Der Übeltäter ist das Östrogen. Hier steht, wenn der Körper zu viel Testosteron produziert, wird ein Teil davon in das weibliche Hormon Östrogen umgewandelt. Das kann zu einer Vergrößerung der Brustwarzen und zur Entstehung von Brüsten führen.«
Grace war unsagbar erleichtert. Sie würde sofort hinaufgehen
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