Kleine Suenden zum Dessert
wandten sich ihr zu wie in Zeitlupe - und wichen zurück. Was ging da vor? Warum klammerte Jamie sich an Ewan, als erkenne er sie nicht? Ihr Baby!
Außer Atem und jetzt ärgerlich blieb sie stehen. »Ich bin‘s, um Himmels willen - eure Mutter!«
»Mum?«, fragte Neil ungläubig und musterte mit großen Augen die dicke Frau mit der wilden Mähne und dem schmutzigen roten Kaftan.
»Grace?«, brachte Ewan mühsam hervor. »Du siehst ganz ... anders aus.«
»Was tut ihr hier?«, fragte sie noch immer etwas verstimmt darüber, dass das Wiedersehen durch ihre Veränderung verdorben worden war.
»Wir wollten dich überraschen«, erklärte Ewan. »Ich rief Nick an und fragte nach deiner Adresse - und da sind wir.«
»Und wir haben dich überrascht, stimmt‘s?«, sagte Jamie triumphierend und zupfte an seinem T-Shirt, um seine Brüste zu verbergen.
»O Jamie! Komm her!« Wieder streckte sie die Arme aus, und diesmal stürzte er sich hinein, und sie drückte ihn an sich, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. »Was ist mit deinen Brüsten?«, flüsterte sie ihm ins Ohr, damit es niemand sonst hörte.
»Sie sind ein bisschen kleiner geworden«, flüsterte er zurück.
»Gott sei Dank!« Ihr armes Baby! Sie drückte ihm einen dicken Kuss auf die Stirn, und er wehrte sich nicht. »Es macht dir doch nichts aus, oder?«, sagte Ewan halb im Scherz. »Ich meine ... vielleicht hätte ich vorher anrufen sollen ...« Er ließ den Satz in der Luft hängen. Sie dachte an Adam und Amanda und Julia und die Anti-Atomkraft-Demonstration bei dem Festival morgen und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Sei nicht albern! Kommt, wir gehen ins Haus!«
16
»Wer hat Eiersandwiches dabei?« Frank ließ anklagend seinen Blick über die Gesellschaft wandern. »Sie stinken den ganzen Bus voll!«
»Wir nicht. Wir haben Thunfisch und Mais, stimmt‘s, Neil?«, sagte Jamie ängstlich. Er fürchtete sich vor Frank und heute mussten auch noch alle besonders nett zu ihm sein.
»Jaaa«, dehnte Neil. Er hatte sich in dem einen Monat Florida einen starken amerikanischen Akzent zugelegt.
»Was haben Sie dabei, Charlie?«, erkundigte sich Julia.
»Knäckebrot mit Hüttenkäse.«
Charlie schnitt eine Grimasse. »Ich bin auf Diät.«
»Sie brauchen doch keine Diät«, protestierte Julia.
»Und ob! Ich rede von Hochzeit, aber ich habe Schenkel wie ein Truthahn, stimmt‘s, Nick?«
»Hm? O ja«, sagte Nick, der sich jedes Mal auszuklinken schien, wenn das Wort »Hochzeit« fiel.
»Ich finde, du siehst toll aus, Mum!«, schwang Gavin sich zu ihrer Verteidigung auf.
»Ich danke dir.« Sie wandte sich wieder Julia zu. »Ich habe es ausgerechnet: Wenn ich alle sechs Monate nur ein Pfund abnehme, erreiche ich mein Zielgewicht genau pünktlich.«
»Nun, das erscheint mir praktikabel«, sagte Julia ermutigend.
»Ist es auch.« Charlie hielt sich wirklich tapfer, wenn man bedachte, dass es nach irischer Rechtsprechung mindestens vier Jahre dauern würde, bis Nicks Scheidung von Didi durch wäre. Keine ihrer Verlobungen hatte länger als achtzehn Monate gehalten. Doch sie behielt ihren Optimismus. Gavin schaute verstohlen zu Jamie und Neil hinüber. Sie trugen Laufschuhe mit Blinklichtern in den Sohlen und brauchten mit ihrer Mutter nicht über Hochzeiten zu reden.
»Muss jemand noch auf die Toilette, bevor wir auf die Autobahn fahren?«, rief Martine vom Fahrersitz.
»Nein! Nein!«, riefen alle, obwohl ein paar von ihnen eigentlich gemusst hätten, doch keiner wollte Frank durch den indirekten Hinweis auf einwandfrei arbeitende Nieren noch zusätzlich bekümmern. Nicht, während seine Verlobte, als »ernster Fall« eingestuft, in einem New Yorker Krankenhaus lag.
»Wir sind bald da«, beruhigte Julia Frank wie ein Kind. »Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen allen. Sie sind sehr freundlich.«
Sie hatten beschlossen, ihn vor dem Festival zum Flughafen zu bringen - als Akt der Solidarität. Er würde nach London fliegen und von dort weiter nach New York.
»Wie geht es ihr denn?« Charlie beugte sich zu ihm hinüber, um seine Hand zu tätscheln.
»Den Umständen entsprechend gut, wie es so schön heißt. Die Ärzte versuchen immer noch, dahinter zu kommen, warum ihre rechte Niere plötzlich versagt hat.« Es war ein schrecklicher Schock gewesen. Sie war guter Dinge bei der Dialyse gewesen - nicht wirklich guter Dinge, natürlich -, und auf einmal hatte ihre rechte Niere den Geist aufgegeben. Das waren Sandys Worte gewesen, als sie gestern Abend
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