Kleine Suenden zum Dessert
laut und deutlich. Sie hatte heute keine Lust, mit der Tapete zu verschmelzen. Sie war eine allein erziehende Mutter, die gerade eine Trennung durchgemacht hatte! Sie war ein Überlebenskünstler! »Gehen wir in die Küche, einverstanden?« Sie stieß die Tür zu Franks kalter, kleiner, kahler Küche auf. Der Geruch von verbranntem Brot hing in der Luft. Ihr Lächeln begann sich anzufühlen wie eingeätzt. »Das ist einer der schönsten Räume des Hauses«, log sie und überkreuzte dabei die Finger hinter dem Rücken. Tom sah sich die Sache genauer an. »Schau mal - die Tür geht in den Garten hinaus. Da kann man den Müll gleich rausschaffen. Das ist praktisch, oder?«
»Ja.« Charlie lächelte sehr tapfer für eine Frau, die ein Haus nach dem Gefühl beurteilte. »Der Herd bleibt hier?«, erkundigte sich Tom.
»Ja - er gehört zur Einrichtung.« Grace konnte den Ausdruck auf Charlies Gesicht nicht ertragen und setzte hinzu: »Es sei denn, Sie wollen lieber einen neuen, modernen kaufen, natürlich.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Tom. »Charlie kocht sowieso nicht. Genauer gesagt, ich versuche sie zu überreden, es nicht zu tun, was?«
Er zwinkerte Charlie zu. Ihr Lächeln spannte ein wenig über den Wangenknochen.
»Du kochst auch nicht«, gab sie zurück.
Weiter so, Mädchen, ermutigte Grace sie im Stillen.
»Wisst ihr was«, erklärte Tom schließlich, »von draußen fand ich das Haus nicht so toll, aber ich fange an zu glauben, dass man viel daraus machen kann.«
Charlie murmelte etwas Unverständliches. Gavin hüllte sich in Schweigen.
Grace hielt es für ihre Pflicht zu sagen: »Absolut! Man braucht nur Phantasie. Und ein gutes Auge. Mit ein wenig Geld wird aus diesem Haus ein ...« Sie hatte »Palast« sagen wollen, aber das wäre lächerlich gewesen. Sie wollte auf »Juwel« oder »gemütliches Nest« herunterschalten, doch auch das wäre haarsträubend übertrieben. Aber war nicht fast jedes Wort, das sie bisher zu diesen Leuten gesagt hatte, eine Halbwahrheit, eine Übertreibung oder eine faustdicke Lüge gewesen?
Sie stand in Franks trostloser Küche und fühlte sich, wie in letzter Zeit schon mehrmals, so jämmerlich, dass sie in ihrer Not auf ihre Schuhe hinunterschaute - ihre schmutzigen Laufschuhe, die so himmelschreiend unpassend unter Mrs Carrs rotem Mantelkleid hervorlugten. Trotzdem war ihr Anblick eine Erlösung, denn er machte ihr klar, dass sie nicht im Auftrag ihrer Firma hier stand, sondern ehrlich und aufrichtig (wenn man von der aberwitzigen Lüge absah, dass Ewan und sie sich getrennt hatten!) als Grace Tynan, die Privatperson.
Eine Welle der Rechtschaffenheit erfasste sie. Es sprach absolut nichts dagegen, den Leuten die Fakten zu präsentieren und sie dann selbst entscheiden zu lassen. Sie waren schließlich erwachsen, oder? Sie mussten nicht bevormundet oder belogen werden. Nein, sie würde nicht länger ein bloßer Kegel in dem großen Immobilienspiel sein; sie würde für ihre Prinzipien einstehen und sagen, was Sache war. Adam würde ihr applaudieren.
»Also, sehen wir der Wahrheit ins Auge«, sagte sie fröhlich. »Das Haus ist scheußlich! Ich würde keinen Penny dafür bezahlen. Gehen wir weiter ins Wohnzimmer.« Während sie beschwingten Schrittes den Flur hinuntereilte, hörte sie die Leute hinter sich flüstern. »Hat sie wirklich ›scheußlich‹ gesagt?«
»Nein, sie hat nicht ›scheußlich‹ gesagt. Sie hat ›göttlich‹ gesagt.«
»Göttlich? Man müsste bescheuert sein, um dieses Haus göttlich zu finden!«
»Soll das heißen, dass ich bescheuert bin?«
»Was regst du dich auf? Du behauptest, ich sei schwerhörig!«
»Was sagst du zu der Idee, das Haus aufzumöbeln und weiterzuverkaufen? Wir könnten ein Vermögen damit machen.«
»Ich dachte, wir wollten ein Zuhause.«
»Mein Gott! Man kann es dir einfach nicht recht machen.« Sie hatten das Wohnzimmer erreicht, und allenthalben wurde wieder gelächelt.
»Das ist es!«, erklärte Grace überflüssigerweise. Sie warteten auf ihre professionelle Lobeshymne, doch sie war jetzt so von Integrität durchtränkt, dass sie beschloss, nichts zu sagen. Kein einziges Wort! Mit wohlwollender Miene stand sie da und ließ die Leute unbeeinflusst die braune, gemusterte Auslegeware betrachten, den geschmacklosen, nachgemachten Kronleuchter, den Lehnsessel mit dem fettig glänzenden Kopfpolster. Nicht einmal Tom fiel etwas Positives dazu ein.
»Irgendwelche Fragen?«, erkundigte sie sich heiter.
»Wohin geht
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