Kleine Suenden zum Dessert
Leben, die über seine Schusseligkeit meckerte, die im Lauf der Jahre Blüten triebe, die ihn zum Mythos machten. »Oh, Ewan Tynan? Ein Riesentyp! Eine Klasse für sich!« Die Leute in der Werbebranche würden im Pub amüsante Storys über ihn erzählen. Er würde lukrative Jobs allein aufgrund seiner Leistung bekommen, seinen Wagen in einer Tiefgarage verloren zu haben - denn ein so zerstreuter Mensch musste einfach ein Genie sein. Sie sah ihn vor sich: Seine Haare wären lang, und er trüge praktische, bügelfreie T-Shirts mit originellen Sprüchen drauf. Er würde in einem Apartment in der Innenstadt wohnen, das er niemals putzte, und er hätte ein kleines Repertoire simpler Gerichte wie Makkaroni mit Käse und Omeletts. Alle sechs Monate oder so würde er mit jemandem aus der Werbebranche ausgehen, mit einer schlanken Blondine, die genauso klug war wie er, und sie würden japanisch essen und dann miteinander schlafen.
Aber Graces Einblicken in die Werbebranche nach waren die meisten Frauen zu beschäftigt, um »Herausforderungen« anzunehmen, und wären demzufolge nicht verfügbar, wenn Ewan wegen einer zweiten Verabredung anriefe. Das würde ihn traurig machen (aber nur für kurze Zeit), und dann würde er diese Erfahrung in dem Projekt verwerten, an dem er gerade arbeitete, womit er mehrere prestigesteigernde Preise gewinnen würde, und er wäre glücklich. Vielleicht würden ihm Kinder fehlen. Doch er könnte ja immer bei anderen Vater spielen, ohne jemals heiraten zu müssen, wie Picasso oder so, und dann hätte er das Beste aus allen Welten. Wäre das nicht genau nach seinem Geschmack?
Nein, sie ging zu hart mit ihm ins Gericht. Tief drinnen wusste sie, dass er ohne sie verloren wäre, ohne den Anker der Ehe ziellos dahintreiben würde. Aber ein Teil von Ewan würde immer unverheiratet bleiben. Vielleicht war das ja bei allen Männern so. Vielleicht hatten sie alle einen kleinen, harten Kern, der unabhängig war und nur ihnen gehörte und den sie wild entschlossen gegen jegliche emotionalen Forderungen verteidigten. War sie auch so vernünftig gewesen? Von wegen! Als sie damals zum Altar hinaufschritt, hatte sie sich willentlich unter die Fuchtel von Ehe und Mutterschaft begeben. Natürlich hatten das Frauen vor ihr schon seit Jahrhunderten getan, und sie dachte jetzt an ihre Vorläuferinnen, all die Beryls und Anastasias und Desdemonas. Hatten sie, wenn sie morgens in ihren Lehmhütten oder Burgen aufwachten und von ihren Kindern bedrängt wurden, während ihre Männer gerade dabei waren, das Rad zu erfinden oder Bogenschießen zu üben, auch gedacht, was für eine Scheine? Hatten sie ein Auge auf einen gut gebauten Stallburschen oder Landarbeiter geworfen und beschlossen, zur Abwechslung einmal sich selbst etwas Gutes zu tun? Ein Auto bog mit quietschenden Reifen in Franks Zufahrt ein und schleuderte ihr eine Staubwolke entgegen.
»Hallo!«, rief der Fahrer herüber. Das musste Tom oder Charlie sein. Ärgerlich über seine Rücksichtslosigkeit erwiderte sie den Gruß nicht. (Die Firmenpolitik schrieb vor, potenzielle Käufer nicht zu brüskieren, bevor zumindest die Reservierungsgebühr bezahlt war - aber sie war heute nicht im Dienst.)
Der Mann, der ausstieg, sah um Kinn und Mund wie Sergeant Daly aus, doch er war geschniegelt und wirkte nervös. Grace rappelte sich auf und ging zu ihm. »Sie müssen Tom sein.«
»Als ich das letzte Mal nachschaute, war ich es noch«, antwortete er, und sie lachte pflichtschuldigst. Er deutete mit dem Daumen auf den Beifahrersitz. »Und das ist Charlie. Charlie?« Er spähte in den Wagen. »Grundgütiger! Du brauchst dir doch jetzt nicht die Nase zu pudern. Wir sehen uns nur ein Haus an.«
Er schaute Grace an und schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie lächelte höflich. Charlie musste ja eine echte Type sein. War er mit Schminke zugekleistert oder nur dezent gestylt? Die Beifahrertür wurde aufgestoßen und ein langes, sonnengebräuntes Beinpaar verführerisch aus dem Auto geschwungen. Eine ringgeschmückte Hand schoss vor und packte Graces. »Hallo! Ich bin Charlie.«
Charlie war eine Frau. Natürlich. Wie hatte Grace etwas anderes annehmen können? Charlie hatte absolut nichts Maskulines, war von ihren unwahrscheinlich platinblonden Haaren bis zu den lackierten Zehennägeln in den offenen Stilettos die personifizierte Weiblichkeit. Ihr Oberteil war eng und tief dekolletiert, und als Charlie ihre Handtasche über die Schulter hängte, verrutschte es und gab den
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