Kleine Suenden zum Dessert
schöner Abend, dass wir draußen essen werden.«
»Nein«, antwortete Natalie mit einem Blick in den Garten. »Wohnen all die Leute hier im Haus?«
Grace lachte auf. »Großer Gott, nein. Nur Adam und Charlie und Gavin. Und natürlich übernachtet Nick oft hier, seit er und Charlie sich ineinander verliebt haben.« Auch ihr Blick wanderte zu der Gesellschaft auf dem Rasen hinaus. »Martine - die beiden beim Schuppen sind ihre beiden französischen Freunde - und Joey hast du ja schon kennen gelernt. Sie schlafen alle in Zelten da draußen. Wir sehen sie kaum. Julia hat nichts dagegen, dass sie dort kampieren. Überhaupt nichts. Wer sie sind, weiß ich gar nicht, um ehrlich zu sein, aber Adam kennt sie.«
Natalie bedachte sie wieder mit Dem Blick. Na ja, sie war ein wenig erschrocken, als sie vorhin bei ihrer Ankunft zwei New-Age-Typen auf den Stufen Stew essen sah und ein Skelett in einem Rollstuhl, das eine Tony-Blair-Maske trug. Grace hatte ihr erklärt, dass der Rollstuhl Julia gehörte, die ihn nie benutzte, weil ihr die Krücken lieber waren. Wem Tony Blair gehörte, wusste Grace nicht. Offenbar wollten sie ihn bei der Demonstration mitführen. Sie hatte versäumt zu erwähnen, dass das Skelett aus Kunststoff war, fiel ihr ein.
Vielleicht dachte Natalie gerade ebenfalls daran, denn sie stieß plötzlich hervor: »Ich mache mir Sorgen um dich, Grace!«
»Tatsächlich?« Grace hatte natürlich etwas in dieser Art erwartet, aber nicht mit solcher Heftigkeit. Ihre vernachlässigte Frisur und der Kaftan konnten ihre Freundin doch nicht in einem solchen Maß beunruhigen. »Warum?«
»Warum? Weil du nicht mehr du selbst bist!«
»Inwiefern?« Interessiert schaute sie von der Sauce auf, die wie gewünscht einkochte. Bald wäre es Zeit, Nudelwasser aufzusetzen.
»Schau dich doch an! Du stehst barfuß wie Mutter Erde in einer fremden Küche und kochst für eine Bande von Verrückten einen Riesentopf Essen.«
»Wenigstens würdigen sie es«, erwiderte Grace milde.
»Es geht nicht nur um die Kocherei.«
»Sondern? Es sind meine Haare, stimmt‘s?«, kam Grace ihr zu Hilfe. »Ich finde, sie stehen mir so. Ich wirke weicher damit, meinst du nicht auch?«
»Sie sind verfilzt! Und du trägst keinen BH, Grace!« Also hatte sie es doch bemerkt. Natürlich! Draußen im Garten pflückte Adam Basilikum. Er hatte ihre Gedanken gelesen, der Gute. Manchmal war es richtig unheimlich - wie heute früh, als er ihr Tee ans Bett brachte, bevor sie selbst wusste, dass sie welchen wollte! Und gestern Abend, als sie nach dem Essen erwähnte, dass sie Lust auf etwas Süßes habe, war er wortlos verschwunden und eine halbe Stunde später mit einer Riesenpackung Schokosplittereis aus dem Supermarkt zurückgekommen, die er ihr so stolz präsentierte wie eine Katze eine erlegte Maus.
Kein Mann hatte sie je mit so viel Mühe umworben. Na ja, vielleicht Ewan am Anfang ihrer Bekanntschaft. Sie erinnerte sich noch genau daran, dass er vom Radio eine ganze Kassette mit Lovesongs für sie aufgenommen hatte, um ihr deutlich zu machen, was er für sie empfand. Jetzt fragte sie sich, ob er vielleicht nur zu geizig gewesen war, um eine Platte zu kaufen.
Das war natürlich unfair, doch sie ertappte sich neuerdings häufig dabei, dass sie sich auf seine negativen Eigenschaften konzentrierte, um ihr eigenes Verhalten in seiner Abwesenheit zu rechtfertigen: die widerlichen Saug-Schmatz-Geräusche, die er beim Essen machte, zum Beispiel, oder die Art, wie er ihr die Hand aufs Steißbein legte, als wolle er sie anschieben.
Und wie er seit Jahren immer wieder andeutete, dass sie die Jungen mit ihrer Liebe erdrückte! All die kleinen Seufzer, die gen Himmel geschickten Blicke, wenn sie sich fragte, wo sie sein mochten - und da waren sie bereits fünf Stunden überfällig! In dem Fall würde sich doch jeder verantwortungsbewusste Elternteil Sorgen machen! Aber Ewan schaffte es, mit seinen kleinen Blicken und wegwerfenden Bemerkungen auszudrücken, dass sie eine dieser überbesorgten Mütter sei, die manchmal in seinen Werbespots im Fernsehen vorkamen und grundsätzlich veralbert wurden.
Wie in dem Mikrowellen-Spot letztes Jahr, zum Beispiel. Eine hart arbeitende, fürsorgliche Mutter hatte einen gesunden Auflauf für ihre beiden Kinder gemacht, aber die wollten natürlich Chips. Und wer kommt da genau im richtigen Moment zur Küchentür herein? Dad! Er hat die glorreiche Idee, einen Anruf zu arrangieren, um Mum abzulenken, und kaum dreht sie ihnen den
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