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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Westbeech?«
    »Wir wollen heiraten!« antwortete sie träumerisch.
    Ich war erstaunt.
    »Mr. Westbeech hat Ihnen einen Heiratsantrag gemacht?«
    Iris nickte verträumt.
    »Wie lange geht das schon?«
    »Seit wir uns in dem Sprechzimmer kennengelernt haben.«
    »Liebe auf den ersten Blick?« fragte ich.
    »Liebe auf den ersten Blick.«
    »Ich dachte, Sie wollten nicht heiraten, weil Sie nicht an einem Platz angebunden sein wollen. Wie steht das jetzt mit dem Sitzleder?«
    »Das ist jetzt nicht mehr aufs Reisen versessen.«
    »Freut mich zu hören. Ich hoffe, Sie werden sehr glücklich sein.« Ein Gedanke durchfuhr mich plötzlich.
    »Ich nehme an, das bedeutet, daß Sie uns bald verlassen werden?« Iris blickte mich verdutzt an. »Nicht so bald«, entgegnete sie. »Ich sagte Ihnen doch, daß ich bleibe, bis das Baby da ist. Wir können sowieso nicht vor einem Jahr heiraten.«
    Weiter war nichts mehr dazu zu sagen, deshalb wünschte ich ihr gute Nacht.
    Iris stieß einen befriedigten Seufzer aus und ging die Treppe hinauf.
    »Iris.«
    »Ja, Doktor?«
    »Sie haben Ihren Schlüssel in der Tür stecken lassen.«
    Es hatte sie anscheinend schwer erwischt.
    In dieser Nacht hatte Sylvia ihre ersten falschen Wehenschmerzen. Die Unterhaltung, die erste einer ganzen Reihe ähnlicher während der nächsten Wochen, spielte sich etwa so ab:
    Sylvia: »Ooh!«
    Sylvia, einige Minuten später: »Au-au!«
    Ich: »Was ist, Liebling?«
    Sylvia: »Schmerzen.«
    Ich: »Wo?«
    Sylvia: »Im Rücken.«
    Ich: »Ziehen sie sich nach vorn?«
    Sylvia: »Ooh! Ja.«
    Ich: »Schlimm?«
    Sylvia: »Ja. Ich glaube, das Baby kommt.«
    Ich (verschlafen): »Das ist noch zu früh.«
    Sylvia: »Au-au!«
    Ich: »Wird es schlimmer?«
    Sylvia: »Nein. Immer dasselbe.«
    Ich: »Nun, dann versuch zu schlafen. Weck mich, wenn es schlimmer wird.«
    Sylvia (schläfrig): »O. K.«
    Das nächste, was ich bemerkte, war die Morgensonne, die durch die Fenster schien, und Sylvia, die friedlich an meiner Seite schlief.
    An diesem Tag war ich als Zeuge zu der Gerichtsverhandlung gegen Andrew Melrose geladen, der des Mordes an seinen beiden Kindern angeklagt war. Den ganzen Tag hing ich auf Old Bailey herum und wartete darauf, daß der Fall an die Reihe käme, und dann brauchte man mich nicht mehr. Andrew Melrose konnte sich wegen ausgebrochenen Wahnsinns nicht vor Gericht verantworten und wurde in ein Irrenhaus gebracht.
    Ich war erleichtert, daß man ihn nicht für schuldig befunden und gehenkt hatte. Es war traurig, daß seine beiden kleinen Töchter tot waren, aber nichts, was nun mit ihrem Vater geschah, konnte sie wieder zum Leben erwecken.
    Ich hatte einmal ein gerichtliches Irrenhaus besichtigt, nachdem ich die besondere Genehmigung des Heimverwalters bekommen hatte, um einen Freund, der Psychiater war, zu begleiten. Daher konnte ich mir das Leben, das vor Andrew Melrose lag, ausmalen.
    Ich erinnerte mich an die schöne Landschaft, die wir auf der Fahrt dorthin durchquert hatten, und den abschreckenden Eindruck, den die hohe Ziegelmauer, die den Platz umgab, bei unserer Ankunft auf mich machte. Das Gebäude war in verschiedene Blocks eingeteilt, und jeder Block war um einen Innenhof herumgebaut, wo sich die »Patienten«, wie man sie jetzt nannte, zu verschiedenen Zeiten des Tages bewegten.
    Die schlimmsten Fälle waren in dem sogenannten »Widerspenstigen-Block« untergebracht. Hier standen die Patienten unter dauernder strenger Beobachtung, oft in Gummizellen, und die »Pfleger«, wie die Gefangenenwärter hier genannt wurden, waren stets zu zweien.
    Weniger Vorsichtsmaßregeln gab es in dem Block der leichteren Fälle, wo die Patienten Gelegenheit hatten, Billard zu spielen, vor dem Fernsehapparat zu sitzen und sogar, einmal im Jahr, mit den weiblichen Leidensgefährten zu tanzen.
    Der Anstaltsleiter, ein höflicher Alter-Herren-Typ, bewegte sich ungerührt zwischen den gefährlichen Mördern, Räubern und Kindesentführern, redete manche mit ihrem Namen an und nickte anderen freundlich und lächelnd zu. Wir fragten ihn, was dieser oder jener Mann oder der dort in der Ecke verbrochen habe, aber der
    Anstaltsleiter hatte es seltsamerweise vergessen. Er kannte sie jetzt nur noch als seine Patienten und behandelte sie alle gleich, unbeeinflußt von der Schwere ihrer Verbrechen.
    Ein schäbiger, armselig aussehender Mann näherte sich uns und bat uns, einen Zettel zu dem Heimleiter zu schmuggeln, auf dem er um seine Entlassung bat; ein anderer alter Mann stellte

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