Kleiner Kummer Großer Kummer
dramatisch, indem sie ihre Hände zusammenschlug und sich zu mir herüberbeugte.
»Nein, es ist nur mein Börsenmakler.«
Sie zog ihre Lederhandschuhe an.
»Ah! Daddy möchte spekulieren, solange die Geschäfte gut gehen. Wir werden einen häßlichen kleinen Reinfall erleben.«
Ich starrte sie an. Sie war schon halb aus der Tür und winkte mir mit zwei Fingern zu.
»Auf Wiedersehen, Daddy«, zwitscherte sie. »Passen Sie auf Mammy auf.«
Ich starrte auf die Tür, die sie hinter sich zugeworfen hatte. Das Telefon begann schrill zu läuten. Ich nahm den Hörer auf, fast hypnotisiert von der Stimme, die ich in meinen Ohren wiederholen hörte: »Wir werden einen häßlichen Reinfall erleben.«
Nachdem er sich zusammengerissen hatte, rief »Daddy« seinem Börsenmakler ein Hallo entgegen.
18
Durch Musgrove ermutigt und überzeugt, hatte ich mich, nachdem ich lange über die Angelegenheit nachgedacht hatte, dazu entschlossen, auf dem Börsenmarkt zu spekulieren, um mein praktisch überhaupt nicht vorhandenes Kapital zu vermehren.
An dem Tag, an dem Schwester Hamble einen »häßlichen kleinen Reinfall« vorausgesagt hatte, hatte ich bescheiden einen Hunderter in Aktien angelegt, die Musgroves fachkundiger Patient ihm empfohlen hatte, und hoffte auf einen netten schnellen Gewinn, bevor die Rechnung fällig wurde. Ich nahm mir vor, die Aktien an dem Tag wieder zu verkaufen, an dem unser Baby geboren würde; und da sie stetig stiegen, seit sie mir gehörten, freute ich mich schon darauf, den Gewinn einzustecken und Sylvia vor die erfolgreiche vollendete Tatsache zu stellen.
An dem Tag jedoch, an dem unser Kind geboren werden sollte, geschah etwas, das mir keine Zeit ließ, nach Sylvia zu sehen, und noch weniger, an den Börsenmakler zu denken.
Tessa Brindley beging Selbstmord.
Von der vergangenen Woche an hatte ich Sylvia nie mehr für länger als höchstens eine Stunde allein gelassen, aber als kurz nach Beendigung meiner Vormittagssprechstunde der Anruf von H. H. Brindley kam, konnte ich nicht absagen.
H. H. schien hoffnungslos und erschüttert.
»Irgendwas ist mit unserer Tessa«, rief er. »Die Haushälterin ruft vom Land an, daß sie krank ist. Sie sollen sofort kommen, geht das?«
Es würde den ganzen Vormittag in Anspruch nehmen, um zu Brindleys Landhaus und zurück zu fahren.
»Was ist denn wohl los?« fragte ich.
»Sie könnt’ es mir nicht sagen, war zu aufgeregt. Sagte nur, wir sollten uns beeilen.«
Ich überlegte, ob es bei Sylvia wohl heute losgehen würde, dann fiel mir ein, daß ich H. H. fest versprochen hatte, nach Tessa zu sehen, »wann immer sie mich brauchen würde«.
»In Ordnung«, erklärte ich mich bereit, »ich fahre, sobald ich kann.«
Ich rief Phoebe Miller an, die mir versprach, nach eiligen Fällen, die nicht bis zu meiner Rückkehr warten konnten, zu sehen, und ging, um Sylvia diese Neuigkeit mitzuteilen.
»Ich komme so schnell wie möglich zurück«, versprach ich, »aber falls irgend etwas passiert, werde ich dir die Nummer des Krankentransports hierlassen.«
»Süßer«, beruhigte mich Sylvia vom Küchentisch her, wo sie Stachelbeeren abknipste, »mach dir bitte um mich keine Sorgen. Ich fühle mich heute ausgesprochen gut, und in den meisten Fällen haben die Frauen ihre Männer nicht bei sich, wenn es soweit ist. Und sie kommen alle rechtzeitig ins Krankenhaus.«
»Eine Freundin meiner Mutter hat ihres auf der Straße bekommen«, berichtete Iris.
Ich warf ihr einen wütenden Blick zu.
»Ich wünsche, daß Sie sie nicht allein lassen, Iris. Nicht für einen Augenblick.«
Ich schrieb Humphrey Mallows Telefonnummer mit Tinte auf die Küchenwand über das Telefon und ließ Sylvia versprechen, ihn sofort anzurufen, wenn sie irgendwelche Schmerzen bekäme. Weiter konnte ich nichts tun, da es ja nicht sicher war, ob Sylvias Wehen beginnen würden, bevor ich zurück war, so wiederholte ich für sie und Iris noch einmal sämtliche Vorschriften für den Notfall und ging.
Während ich mich durch den starken Morgenverkehr wand, fühlte ich mich niedergeschlagen und unzufrieden. Ich konnte an nichts anderes denken als an Sylvia, wie sie mich an der Haustür verabschiedete, mit ihrer unförmigen Figur, aber wunderschön, und mich bat, mir keine Sorgen zu machen.
Auf der Landstraße gab ich Gas und überholte alles, was in Sicht kam, trotz der Proteste der anderen Wagen. Als ich dann in die kurvenreiche Stille der Nebenstraße einbiegen mußte, fühlte ich mich schon
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