Kleiner Musicalratgeber für Anfänger und Fortge
zusammengekniffenen Augen Richtung Monitor, um einen Blick auf die heutige Cast zu erhaschen. Dabei entdecke ich zwei Dinge: Zum einen beherrsche ich die Techniken guten Zuhörens nicht wirklich, zum Anderen sollte ich mal wieder zum Augenarzt gehen. Die Namen verschwimmen nämlich unscharf vor meinen Augen. Da, endlich! Die Kartenabreißerin hat ihre Rede beendet, drückt uns die Karten wieder in die Hand und tritt zur Seite, damit wir passieren können. Schnellen Schrittes und nur mit Mühe zwei aufgeweckten kleinen Kindern ausweichend, die gleich mit Sicherheit wieder vor, neben oder hinter mir sitzen werden, bin ich an der Theke des Souvenirshops angelangt und greife mir eine der dort ausliegenden Besetzungslisten. Einen routinierten Blick später weiß ich, dass sich fast all meine Besetzungswünsche erfüllt haben. Herz, was willst du mehr!
Nun kann ich der Matinée mit mehr Gelassenheit entgegensehen und nehme mit meiner Begleitung in den eleganten Ledersesseln im ObergeschossPlatz. Von hier aus haben wir einen ausgezeichneten Blick auf den Eingangsbereich des Theaters und können die eintreffenden Gäste beobachten – ein herrlicher Zeitvertreib! Die Luft im Theaterfoyer ist zum Schneiden und so ist es kein Wunder, dass die Getränke auch zu den vollkommen überteuerten Preisen in Massen über die Theke gehen. »Für das Geld kann ich ja eine ganze Kiste Wasser bekommen!«; beschwert sich eine Frau im Abendkleid, und der junge Mann in Flip-Flops, Shorts und T-Shirt daneben stimmt ihr zu, bevor beide zähneknirschend das Portemonnaie zücken. Was tut man angesichts tropischer Temperaturen nicht alles für eine winzige Flasche Wasser?
Aber zurück zu den Menschen, die in vorfreudiger Erwartung in das Theater strömen: In noch keinem anderen Musical habe ich so viele unterschiedlich gekleidete Leute gesehen wie regelmäßig bei »Tanz der Vampire«. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Fast immer entdeckt man auch verkleidete Fans. Dieses Mal mache ich eine Rote-Stiefel-Sarah und zwei Ewigkeitsvampire aus, die einträchtig nebeneinander an einem der Stehtische stehen und sich angeregt unterhalten. Unwillkürlich ziehen sie die Aufmerksamkeit aller Erstbesucher auf sich, etwas, was sie aber gewohnt zu sein scheinen, gelassen wie sie bleiben. Etwas wehmütig denke ich an Hamburger oder auch Berliner Zeiten zurück, wo man verkleidete Besucher zu Hauf fand. Dafür sorgte alleine schon der so genannte »Fan-verkleidet«-Tarif des Fanclubs – ein unschlagbares Angebot, dem kaum ein Hardcore-Fan widerstehen konnte. Leider hat man sich hier bisher nicht auf einen entsprechenden Preisnachlass für verkleidungslustige Menschen eingelassen. Eine Schande eigentlich, bedenkt man, für wie viel Flair so etwas sorgt. Einerseits konnten die Cosplayer (kurz für costume play) so voll ihre Fantasie ausleben und hatten darüber hinaus die Gelegenheit, ihr Lieblingsstück für einen Spottpreis zu sehen, andererseits kam Otto-Normal-Verbraucher so in den Genuss, schon im Foyer von Alfreds, Sarahs, Professoren und Vampiren umgeben zu sein. Es gibt doch nichts Schöneres, als schon vor Beginn der Vorstellung in Krolocks Welt eintauchen zu können!
Glücklicherweise gibt es immer noch einige Wenige, die sich selbst dann in ihren Lieblingscharakter verwandeln, wenn es ihnen keinen finanziellen Vorteil bringt – einfach um des Verkleidens und der Vorfreude auf das Stück willens. Gibt es noch eine andere Produktion, die die Verkleidungslust so anregt wie »Tanz der Vampire«? Ich glaube nicht. Andererseits muss man fairerweise auch zugeben, dass kein Musical diesbezüglich soviel Potential bietet – von der klassischen Sternkleid-Elisabeth oder der leicht nachzuempfindenen grünen Elphie mal abgesehen.
Etwas aber hat man in allen Theatern: Nennen wir es einfach mal Begegnungen der dritten Art. Bedenkt man, dass die meisten Spielstätten über 1300 bis 2000 Plätzen verfügen, so sollte man meinen, dass die Wahrscheinlichkeit, in irgendeiner Form merkwürdige Leute neben, vor oderhinter sich zu haben, äußerst gering ist, ja, vielleicht sogar gegen Null tendiert. Ha! Denkste. Das ist das gleiche Phänomen wie im Zug, wo sich grundsätzlich die unangenehmsten Zeitgenossen neben einen setzen. Diesmal jedoch scheine ich mit meinem Platz einen Glücksgriff getan zu haben: Die Leute hinter mir sind nett und ruhig, und machen nicht den Eindruck, als würden sie gleich jedes Lied mitsingen oder jeden Dialog mitsprechen. Das kommt
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