Kleines Lexikon christlicher Irrtümer - von Abendmahl bis Zungenreden
258) behauptete, der Bischof Roms sei Nachfolger des Petrus. Rom wurde immer mächtiger, das Papstamt auch – um 1200 beansprucht der Papst nicht nur, Nachfolger des Petrus, sondern darüber hinaus Stellvertreter Christi zu sein. Ein steiler Anspruch, gekrönt vom Dogma, in Glaubensangelegenheiten sei der Papst unfehlbar. Dem Fischer Petrus hingegen wurde die eigene Fehlbarkeit schmerzlich bewusst. Spontan hatte er sich dazu entschlossen, dem Wanderprediger Jesus zu folgen. Sein Wille war groß, doch sein Glaube blieb klein. Als er Jesus auf dem Wasser wandeln sah, wollte er es ihm nachmachen – und versank im See. Als »Kleingläubiger« musste er sich tadeln, sogar als »Satan« beschimpfen lassen. In Jerusalem, im Garten Gethsemane, hatte Jesus Petrus um Beistand gebeten: »Wache mit mir!« Doch er schlief mehrmals ein. Schließlich, nach Jesu Gefangennahme, verleugnete Petrus sogar seinen Herrn, dem er ewige Treue geschworen hatte. Bitterlich weinte er über seine eigene Feigheit. Die Frage liegt auf der Hand: Wieso eigentlich wird eine so unvollkommene Gestalt zum wichtigsten Führer der Urchristenheit?
»Gott liebt Versager«, könnte die Antwort lauten. So einfach macht es uns die Bibel und die Kirchengeschichte freilich nicht. Das Bild, das sie von Petrus zeichnet, ist schillernd und enorm vielseitig. Dass ausgerechnet dieser einfache Fischer vom See Genezareth zum wortgewaltigen Verfechter des Glaubens an Jesus Christus wird, setzt Zeichen: Die Maßstäbe, die einen »guten Christen« ausmachen, verrücken. Weder ein Schriftgelehrter noch ein tadelloser Vorzeige-Christ, sondern ein eher schlichtes Gemüt mit Stärken und Macken sorgt dafür, dass die Lehre Jesu Christi in die Welt getragen wird. Die Geschichte der jüngsten Zeit zeigt: Je mehr sich Päpste in die eigentümliche Gebrochenheit der Person des Petrus stellen, umso beliebter sind sie. Diese Erfahrung birgt auch ökumenische Hoffnung. Evangelische Stimmen melden sich zu Wort: Einen Papst, der sich mehr an der Person des Petrus als am katholischen Anspruch des Papstamtes orientiere, könnten auch Protestanten als oberste Repräsentationsfigur der Christenheit akzeptieren. Dann wäre nicht Petrus der erste Papst. Sondern der Papst würde sich auf die Fähigkeiten des Petrus besinnen, der Nachfolger und Bekenner, Organisator und Missionar, Wegbereiter und Seelsorger war und wusste: Der rechte Weg des Glaubens wird im Dialog gefunden.
PROZESSIONEN finden vor Gericht statt
Nein, natürlich nicht. Das sähe auch recht merkwürdig aus, wenn Richter, Anwälte, Angeklagte und Zeugen erst einmal ein Gesetzbuch vor sich hertragend und das Grundgesetz rezitierend in langer Reihe durch das Gerichtsgebäude schritten, bevor sie ihre Plätze im Gerichtssaal einnähmen. Prozessiert wird vor Gericht, Prozessionen dagegen sind feierliche Umzüge aus religiösem
Anlass und gehören hierzulande hauptsächlich zum Brauchtum der katholischen Kirche. Am bekanntesten ist wohl die Fronleichnamsprozession, bei der nach katholischem Glauben der in der Eucharistie gegenwärtige Leib Christi in Gestalt der Hostie in einem Schaugefäß feierlich durch wimpel- und blumengeschmückte Straßen getragen wird. Oft wird beim feierlichen Daherschreiten auch gebetet oder gesungen und Blaskapellen spielen Prozessionslieder.
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Die REFORMATOREN wollten die Kirche spalten
Die Bezeichnung »Reformation« sagt es eigentlich schon: Nein, die Reformatoren wollten die Kirche nicht spalten, sie wollten sie reformieren.
Luther, der mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel den ersten konkreten Anstoß gab, wollte zunächst sogar nur eine Diskussion unter Theologen in Gang bringen. Die Folgen dieser Veröffentlichung übertrafen allerdings alle Erwartungen. Niemand wollte mit ihm diskutieren. Dafür fanden seine Thesen so begeisterte Zustimmung unter den Menschen, dass sich seine Gedanken in kürzester Zeit in ganz Nordeuropa verbreiteten. Weitere Reformatoren wie Luthers späterer Freund Philipp Melanchthon oder die Schweizer Reformatoren Johannes Calvin und Ulrich Zwingli traten auf und es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche. Schnell wurden die Unstimmigkeiten so groß, dass die Anhänger der Reformation eigene Religionsgemeinschaften gründeten und sich von der römischen Kirche trennten. Die ursprünglich kirchliche Bewegung weitete sich ins Politische aus: Einige Länder übernehmen die evangelische Lehre, andere bleiben bei der
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