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Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer

Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer

Titel: Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele-Marie Bruedgam
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kulturaktiven Isländer sie am liebsten für Veranstaltungen. Das Ausgehprogramm ist randvoll im kleinen Reykjavík, vor allem an Wochenenden und ganz besonders beim dreitägigen Winterlichter-Festival, das jedes Jahr an einem Februarwochenende stattfindet: jede Menge Kunstausstellungen und Konzerte. 34
    Alles zusammen – Sonnenlicht und nächtliches Leuchten, Winter und Wärme, Partys und Kultur – gibt es so nur in Reykjavík, der nördlichsten Hauptstadt der Welt. Mit 120000 Einwohnern ist sie zwar bei Weitem nicht die größte Stadt im Norden, sondern wird in Größe und nördlicher Lage von Murmansk (im äußersten russischen Nordwesten) oder Norilsk (Sibirien) übertroffen. Diese Städte haben sicher auch ihre Reize, aber andere als Reykjavík.

DER JAKOBSWEG IST VON DEUTSCHEN ÜBERVÖLKERT UND HAPE KERKELING IST SCHULD
    Wanderverkehrsstaus, Bratwurststände, Souvenirbuden mit »original Hape-Hüten«: Auf dies alles und noch viel mehr war ich vorbereitet, und es hätte mich nicht mal gestört. Immer nur das Schöne und Erhabene zu genießen, ist irgendwann kein Genuss mehr, auf Reisen mag ich ebenso die krude Wirklichkeit erleben und kuriose Geschichten sammeln. Darum ging es auch, als ich mich im Frühjahr 2008 nach Nordspanien aufmachte. Genau zwei Jahre zuvor war Hape Kerkelings Buch Ich bin dann mal weg erschienen, rund drei Millionen Exemplare waren zwischenzeitlich verkauft. Schätzungsweise jeder fünfte Leser sprach von dem Plan, selbst einmal durch Nordspanien zu wandern, Hunderte Kilometer weit bis nach Santiago de Compostela. Und ProSieben hatte im Herbst 2007 Das große Promi-Pilgern gezeigt. Die Folgen dieses Trends wollte ich mir vor Ort angucken. Was ich dann tatsächlich sah, war dies:
    Hier mal ein Pilger, dort eine kleine Gruppe. Locker verstreut in idyllischer Landschaft. Ruhe, Einsamkeit überall (jedenfalls außerhalb der wenigen Großstädte, durch die der Weg führt). Auf den letzten Kilometern leicht erhöhtes Pilgeraufkommen, aber immer noch keine Massen, keine Staus, keine Hektik – und das zur Wallfahrtshochsaison im Mai. Wenn einer der tendenziell schweigsamen Pilger den Mund aufmachte, kam meistens Spanisch heraus, sehr viel seltener Deutsch.
    War ich auf dem falschen Weg? Oder war alles, was ich über den Pilgertrend, den Hape-Hype und deutsche Jakobswandervorsätze gehört hatte, nur leeres Geschwätz? Gewissermaßen ja, aber nicht ganz. In der Tat ist Santiago de Compostela als Pilgerziel schwer angesagt, dies allerdings bereits seit zwölf Jahrhunderten. Der Pilgerbetrieb begann, als das Grab des Apostels Jakobus im 9. Jahrhundert auf freiem Feld in Nordwestspanien gefunden wurde (beziehungsweise vermutet wurde – bis heute ist die Zuordnung der Gebeine umstritten). Ab dem 11. Jahrhundert entstand an derselben Stelle die Santiago-Kathedrale, der Pilgerzustrom stieg an. In den folgenden Jahrhunderten wurden immer mehr Wege und Brücken gebaut, in ganz Nordspanien errichtete man Kapellen, Kirchen, Gasthäuser und Hospitäler, um die aus vielen Ländern kommenden Wallfahrer zu versorgen – und um das lukrative Wallfahrtsgeschäft weiter anzuheizen.
    Es gab auch Zeiten, in denen die Jakobspilgerei ein wenig aus der Mode geriet, doch auf jede Ebbe folgte eine Flut, und die neueste hält seit Jahrzehnten an. Das hängt sicherlich mit den heute schnelleren und preisgünstigeren Anreisemöglichkeiten aus aller Welt zusammen: Für Lateinamerikaner, Japaner, Neuseeländer und Südafrikaner sind Jakobswallfahrten nichts Ungewöhnliches mehr. Einen besonders großen Schub bekam das Ganze aber vor allem durch die international erfolgreichen Pilgerbücher von Paulo Coelho (Auf dem Jakobsweg: Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela, erschienen 1987) und Shirley MacLaine (Der Jakobsweg: Eine spirituelle Reise, 2000). Wer Ich bin dann mal weg gelesen hat, weiß, dass schon zu Kerkelings Zeiten ordentlich etwas los war auf dem Weg.
    Und so sah die Entwicklung in den Jahren 2004 bis 2010 aus – bei den traditionell größten Jakobspilgernationen Spanien, Italien und Deutschland sowie insgesamt: 35

    Siehe da: Tatsächlich war 2008 das Boomjahr der deutschen Pilger. Den Titel der ausländischen Pilgermeister hatten die Deutschen bereits im Vorjahr (ein Jahr nach Erscheinen »des Kerkelings«) den Italienern abgeluchst. Ab 2009 gingen dann aber Anzahl und Anteil der deutschen Wallfahrer schon wieder zurück. Jahre, in denen der Namenstag des Apostels – der 25. Juli – auf

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