Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
Vom Netzwerk:
nicht mehr ganz junger Soldat verhöhnte die Frauen, die vorher so mutig seien u. im Bombenangriff bebberten. Ein Flüchtling aus Görlitz erzählte von erfolgreichem Gegenstoß der Deutschen an diesem Punkte, es seien freilich auch etliche hundert Panzer vom Westen herübergekomen .. Schon erklärte eine junge Beamtin der NSV, so etwas dürfe man nicht weiter tragen, Feind hört mit! .. und Wir alle können Unanehm Unannehmlichkeiten bekommen! und schon war es einen Moment betreten still, u. dann nahm das Gespräch eine harmlose Wendung. In der nächsten Nacht sprach aus dem Dunkel zu mir die Stimme eines Arbeiters oder Landarbeiters in oesterreichischem Dialekt. Er kome von Niederdonau er lebe in Karlsbad, wo seine Frau schon mit Unruhe auf ihn warten würde. Der endlose harte Krieg, die vielen Feinde, hinter allen die Juden! Jetzt komt alles darauf an daß wir siegen. Dann wird uns alles ersetzt werden! – Ein wahrscheinlich tschechischer Arbeiter, erbittert verzweifelt: um 1 Uhr Nachts kome er von der Arbeit, immer diese Verzögerungen auf der Bahn, früh wieder anfangen müssen, immer Alarm, ein Elend, ein Elend! Was gehen uns die Amerikaner an, was wir die Amerikaner? Sie sollen doch Schluß machen, sie sollen doch Schluß machen! – Ein blonder Mensch, schon den besseren Ständen angehörig: wenn nur endlich Schluß würde – soviel Elend! Die erfrorenen Kinder an der Strecke der ersten Räumungstransporte im kalten Januar. Der Leichenwagen, der die Strecke absamelte. Am Morgen hörte der Fuhrmann zwei erwachte Kinder, zwei scheinbare Leichen also, an die Wagentür klopfen. Er wird wahnsinnig, geht nachhaus u. erhängt sich ... Nur Schluß machen, was meinen Sie, wie lange noch? ... Ich hatte gar keine Meinung – dies konnte ja ein Spitzel sein, oder irgendwo saß wieder eine Nazicke wie die NSV-Beamtin. Ich dachte nur: Voces populi – wer kann 5 vor 12 sagen, welches die siegende Volksstimmung um 12 Uhr sein wird? – Mit den vielen Aufenthalten wurde es spät u. später. Die Frage war, ob wir * Annemarie noch würden aufsuchen können. Endlich gegen elf Uhr Abends Pirna. Wir trabten durch die dunkle nasse Straße. * E. wußte den Weg. Wir mußten am verschlossenen Haus lange klopfen u. die Klingel suchen. Dann kamen gleichzeitig * Dr Dressel u. Annemarie herunter, beide verän kaum verändert, beide nicht übermäßig überrascht – ich hatte ja neulich aus Piskowitz eine Bleistiftzeile an A. gesandt. Die Aufnahme war beides: rührend herzlich, auch von Dressels Seiten, u. abgebrüht gefühllos; man hat zu Gräßliches als das Alltägliche erlebt, auf einen Toten mehr komt nichts an, u. in ständiger Lebensgefahr ist jeder (man selber einbegriffen) – das imponiert nicht. Ich erzählte meine Geschichte u. meine Gefahr (in der Vereinfachung, daß ich selber schon zu dem für Freitag 16/II angesetzten Todes Vergasungstransport gehört hätte), daß ich vogelfrei sei u. Unterschlupf haben müßte. Antwort immer wieder: unmöglich! Unmöglich auf dem Gut des Bruders der Annemarie, da sei alles bis in die letzte Ecke von Ausgebombten u. Flüchtlingen überfüllt, unmöglich in der Klinik, ich müßte weiter weg von Dresden. Eva hatte gehofft von Pirna aus sich ferntelephonisch mit * * Scherners oder der * Frau unseres Hausverwalters Richter in Verbindung setzen zu könne. Unmöglich – Ferngespräche seien überhaupt nur zu haben, wenn man sich durch eine Ziffer als kriegswichtiger Betrieb ausweise. Nein, wir müßten aufs Geratewohl irgendwohin auf irgendwelche Weise weiter. Vielleicht glücke es doch. Und ebenso dann auch am nächsten Tage als letztes Wort: vielleicht gelingt es Ihnen doch – alles Gute! So ließ man uns fort. Auf der andern Seite wie gesagt die größte Herzlichkeit. * Dressel, der * Frau u * * * Kinder auf ein Dorf gebracht hat, um sie der größten Gefahr ein bißchen zu entziehen – einen Vorort von Pirna hat es schon einmal gefaßt, u. jeden Tag rechnet man mit der Zerstörung P. s, die ganze Umgebung Dresdens werde zerschlagen – Dressel gab uns für die Nacht das Ehebett in seiner Wohnung u. kampierte nebenan auf einem Sopha, er schenkte mir ein Paar (passende!) Schuhe u. eine Hose – (ich kann all das Zeug doch nicht retten!), er gab E. Rauchzeug .. * Annemarie machte uns am nächsten Morgen Frühstück – hier begann das Hungern – sie übernahm meine Papiere – (ohne Garantie natürlich!) – sie gab mir 250 M. Sie kam uns später noch auf den Bahnhof nachgestürzt,

Weitere Kostenlose Bücher